Vegtamskvida / Baldurs Traumar – Das Wegtamslied / Baldurs Träume

Vegtamskvida / Baldurs Traumar – Das Wegtamslied / Baldurs Träume

Die Asen eilten all zur Versammlung
Und die Asinnen all zum Gespräch:
Darüber berieten die himmlischen Richter,
Warum den Baldur böse Träume schreckten.

(Ihm schien der schwere Schlaf ein Kerker,
Verschwunden des süßen Schlummers Labe.
Da fragten die Fürsten vorschaunde Wesen,
Ob ihnen das wohl Unheil bedeute?

Die Gefragten sprachen: „Dem Tode verfallen ist
Ullers Freund, so einzig lieblich.“
Darob erschraken Swafnir und Frigg,
Und alle die Fürsten, sie faßten den Schluß:

„Wir wollen besenden die Wesen alle,
Frieden erbitten, daß sie Baldurn nicht schaden.“
Alles schwur Eide, ihn zu verschonen;
Frigg nahm die festen Schwür` in Empfang.

Allvater achtete das ungenügend,
Verschwunden schienen ihm die Schutzgeister all.
Die Asen berief er, Rat zu heischen;
Am Mahlstein gesprochen ward mancherlei.)

Auf stand Odin, der Allerschaffer,
Und schwang den Sattel auf Sleipnirs Rücken.
Nach Nilfheim hernieder ritt er;
Da kam aus Hels Haus ein Hund ihm entgegen,

Blutbefleckt vorn an der Brust,
Kiefer und Rachen klaffend zum Biß,
So ging er entgegen, mit gähnendem Schlund,
dem Vater der Lieder und bellte laut.
Fort ritt Odin, die Erde dröhnte,
Zu dem hohen Hause kam er der Hel.

Da ritt Odin ans östliche Tor,
Wo er wußte der Wala Hügel.
Das Wecklied begann er der Weisen zu singen
(Nach Norden schauend, schlug er mit dem Stabe,
Sprach die Beschwörung, Bescheid erheischend),
Bis gezwungen sie aufstand, Unheil verkündend.

Wala
Welcher der Männer, mir unbekannter,
Schafft die Beschwerde mir solchen Gangs?
Schnee beschneite mich, Regen beschlug mich,
Tau beträufte mich, tot war ich lange.

Odin
Ich heiße Wegtam, bin Waltams Sohn,
Wie ich von der Oberwelt, sprich von der Unterwelt.
Wem sind die Bänke mit Baugen (Ringen) bestreut,
Die glänzenden Betten mit Gold bedeckt?

Wala
Hier steht dem Baldur der becher eingeschenkt,
Der schimmernde Trank, vom Schild bedeckt.
Die Asen alle sind ohne Hoffnung.
Genötigt sprach ich, nun will ich schweigen.

Wegtam
Schweig` nicht , Wala, ich will dich fragen,
Bis alles ich weiß. Noch wüßt` ich gerne:
Welcher der Männer ermordet Baldurn,
Wird Odins Erben das Ende fügen?

Wala
Hierher bringt Hödur den hochberühmten,
Er wird der Mörder werden Baldurs,
Wird Odins Erben das Ende fügen.
Genötigt sprach ich, nun will ich schweigen.

Wegtam
Schweig` nicht Wala, ich will dich fragen,
Bis alles ich weiß. Noch wüßt` ich gerne:
Wer wird uns Rache gewinnen an Hodur,
Und zum Bühle bringen Baldurs Mörder?

Wala
Rindur im Westen gewinnt den Sohn,
Der einnächtig, Odins Erbe, zum Kampf geht.
Er wäscht die Hand nicht, das Haar nicht kämmt er,
Bis er zum Bühle brachte Baldurs Mörder.
Genötigt sprach ich, nun will ich schweigen.

Wegtam
Schweig` nicht, Wala, ich will dich fragen,
Bis ich alles weiß. Noch wüßt` ich gerne:
Wie heißt das Weib, die nicht weinen will
Und himmelan werfen des Hauptes Schleier?
Sage das eine noch, nicht eher schläfst du.

Wala
Du bist nicht Wegtam, wie erst ich wähnte,
Odin bist du, der Allerschaffer.

Odin
Du bist keine Wala, kein wissendes Weib,
Vielmehr bist du dreier Thursen Mutter.

Wala
Heim reit` nun, Odin, und rühme dich:
Kein Mann kommt mehr, mich zu besuchen,
Bis los und ledig Loki der Bande wird
Und der Götter Dämmerung verderbend einbricht.

Unser Dank gilt Anja Stoye für den zugesanden Text.