Geschnürte Schnabelstiefel

Geschnürte Schnabelstiefel

Stiefel mögen wohl in der heutigen Zeit zu eleganten Vorzeige- und Prestigeobjekten der Fußbekleidung verkommen sein- für unsere Ahnen waren sie der festeste und robusteste Schutz gegen allerlei Unbill, der gleich die Beine bis zum Knie vor Dornen, Schlangenbissen, Nässe, Kälte und dergleichen mehr bewahrte. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Deshalb muß ein Stiefel etwas aushalten können. Kilometerlange Fußmärsche unter widrigsten Bedingungen, bei Wind und Wetter, bei Regen und Schnee, waren an der Tagesordnung. Überhaupt lebten unsere Vorfahren etwas rauher, naturverbundener, unbequemer – und kürzer.
Die Spanne eines Menschenlebens darf man im Mittelalter wohl kaum über 35 Jahre ansetzen. Unter den unsäglichen Strapazen und Mühen war man allerdings mit 40 auch schon vergreist. Wer die wahnsinnige Investition tätigte, sich ein Paar Stiefel anfertigen zu lassen, tat dies nur einmal in seinem Leben. Dafür hielt das Schuhwerk aber auch so lange…
Um nun aber solch widerstandsfähige Füßlinge herzustellen, benötigt man dickes Leder, festen Zwirn, zähe Nadeln und vor allem ebensolche Hände! Gestählt zum Beispiel durch gute Übungen wie Gürteltaschen, Köcher, Geldbeutel…! Leicht kann es einem Unvorsichtigem passieren, nach einem täglichen Pensum von 4 Stunden solcher Arbeit eine Sehnenscheidenentzündung davonzutragen. Das ist kein Witz, das ist sehr langwierig und schmerzhaft.
Die Vorarbeit ist fast die selbe wie für Schnabelschuhe. Man muß sich Schnitte anfertigen. Wie das geht, wurde bereits beschrieben. Es ist nicht sehr anstrengend, weil man hauptsächlich Kopfarbeit leistet. Der Schuh muß quasi vor dem geistigen Auge entstehen. Hinterher braucht man nur noch alle Stücke so zusammenflicken, daß es genauso aussieht, wie man es sich vorgestellt hat. Ganz einfach.
Stiefel sollten nicht allzu lange Schnäbel bekommen, das schränkt sie in ihrer Pratikabilität sehr ein. Bis zur halben Fußlänge ist eine Spitze aber doch zu vertreten. Um die Sache nicht komplizierter zu machen, schlage ich vor, die Spitze wie ebenfalls schon beschrieben dem Spann entlang zu teilen. Aber ich will da niemand Vorschriften machen… Das Kappenteil geht nahtlos in den Schaft über, der das Bein ruhig bis über das Knie umhüllen darf. Als kleine Raffinesse kann man dann nämlich diesen „Überstand“ als Stulp nach unten schlagen. Eine Sache des persönlichen Geschmacks ist auch die Ausbildung des übrigen Schaftes. Da ich meine eigenen Stiefel wirklich im Feld trage, das heißt mit Kettenpanzer und sonstiger Kledage, war es mir ein inniges Anliegen, sicheren Tritt zu haben. Aus diesem Grund zeigen meine Stiefel an der Wadenseite, wo eigentlich nur eine Naht zu sehen wäre, Schnürung. (Bild Stiefelferse )
Am Schienbein dagegen nicht einmal eine einzige Naht. Ich habe also den Schaft aus einem eizigen großen Stück Leder geschnitten – weil ich es einmal hatte. ( siehe auch Skizze 1 )
Das Stück, das die Schnürung nach der Innenseite zu dicht macht, ist so breit wie der halbe Umfang der Wade und verjüngt sich naturgemäß zur Ferse hin, sonst wird der Stiefel unten zu weit.
Skizze 3 Eine kleine Schwierigkeit bildet der Knotenpunkt von Schaft, Fersenteil und Sohle. Das läßt sich mit Strichen zweidimensional gar übel nachempfinden. Selbst fachliche Kompromißlösungen kann man da entschuldigen, Hauptsache, alles hängt an einem Faden! Normalerweise muß man den Schaft im Fersenbereich 3 Lederstärken länger lassen, da er hier sich um sich selbst und das Fersenteil herumbiegen muß, um bis an die Sohle zu reichen. Dann bietet es sich an, Keile in der Nahtregion zu entfernen, sonst hat man hier 3 Lagen zwischen Brandsohle und Sohle Herr zu werden (nichtgerechnet die diversen Verwerfungen aufgrund des Engerwerdens):
Wenn alle Teile an der Sohle hängen, arbeitet man sich zuerst an den Nähten zwischen Fersenteil und Schaft nach oben, dann verbindet man das Schaftteil mit linkem und rechtem Spitzenteil und erst zuletzt schließt man die Naht über dem Spann, die die beiden letzteren miteinander in Berührung bringt. Um diese exponiert liegende Naht zu schützen, gibt es die Möglichkeit, darüber beim Schließen einen Lederstreifen zu legen ( Skizze 2 ), wie ich das wenigstens teilweise tat. (Bild Stiefelspitze – siehe rechts)
Nun noch die Löcher für die Schnürung mit der Lochzange angebracht und Ösen vernietet- fertsch.
Wer ernsthaft erwiegt, sich im täglichen Mittelalter mit solcherlei Lederlatschen zu bewehren, sollte eventuell daran denken, daß in unseren Breiten Temperaturen im Negativbereich nicht unüblich sind und deshalb gegebenen Falles Platz für ein Paar dicke Schafwollsocken lassen. Beim nächsten Kreuzzug seid ihr dann auch im Vorteil, weil, was gegen Kälte gut ist, auch gegen Hitze schützt! Nicht umsonst behängen sich die Sarazenen mit schwarzen Tüchern!
Doch, wie sagt schon eine alte Ritterregel?
Ein Ritter, der den Weg nicht kennt,
kommt niemals in den Orient.
Auch nicht mit den besten Stiefeln….
In diesem Sinne, Euer

Loke Klingsor