Alter Aberglaube im Erzgebirge

Alter Aberglaube im Erzgebirge

Diesen Text habe ich in einem alten „Glückauf!“-Heft des Erzgebirgsvereins anno Februar 1933 gefunden und möchte es Euch zur allgemeinen Belustigung nicht vorenthalten. Doch vergesst vor lauter Lachen und Köpfe schütteln über die bekloppten Gebirgler nicht hin und wieder auch ernsthaft zwischen den Zeilen zu lesen. Da kann man durchaus zwischen dem ganzen christlichen Unfug noch Reste alter heidnischer Bräuche erkennen!
In den Jahren der beginnenden französischen Revolution herrschten im Erzgebirge höchst sonderbare abergläubische Vorstellungen, die in scharfem Widerspruch standen zum aufgeklärten Geist jener Zeit. Diese ortsgeschichtlich interessanten Überlieferungen werfen ein helles Licht auf den Charakter der Bevölkerung, deren innere Unfreiheit von damals wir heute nur noch schwer verstehen können.
Unter dem Bann solcher abergläubischen Ansichten standen besonders die Hochzeitsgebräuche, wie überhaupt das ganze eheliche Leben. Das fing schon bei der Trauung an. Wenn die Braut zum Altar schritt, um sich einsegnen zu lassen, so pflegten die Brautmütter zusammenzurücken, damit der Platz nicht kalt werde, auf welchem die Braut gesessen war. Sie glaubten allen Ernstes, die Liebe zwischen Braut und Bräutigam werde erkalten, wenn sie es nicht so machten.
Die Neuvermählten wurden in große Unruhe versetzt, wenn an jenem Tag zufällig auch eine Beerdigung stattfand. Wenn dabei eine Ehefrau gestorben war, so glaubten sie felsenfest, der Bräutigam werde ein Witwer. Diese armen Bauersleute waren nicht von dem Wahn abzubringen, ihre Kinder müßten alle sterben, wenn die Beerdigung wegen eines Kindes stattfand.
In ihrer abergläubischen Phantasie war das erste Kind stets ein Mädchen, wenn dem verlobten Paar während des Kirchgangs zuerst ein Mädchen begegnete. Im umgekehrten Fall mußte es ein Knabe sein. Begegnete ihnen aber ein Knabe und ein Mädchen zugleich, so rüsteten sie sich auf die Ankunft von Zwillingen.
Höchst sonderbare Vorstellungen herrschten über die Unfruchtbarkeit der Frauen. Man lebte in der Chemnitzer Umgebung in der Überzeugung, die unfruchtbare Frau müsse mit dem Tischtuch geworfen werden, dessen man sich bei der ersten Taufmahlzeit bediente. Viele achteten genau darauf, wer von den Eheleuten zuerst aus dem Bett steige. Dieser Unglücksvogel mußte nach dem herrschenden Glauben zuerst sterben.
Das Brautbett wurde sowohl in der Stadt wie auf dem Lande von den Paten weiblichen Geschlechts vorbereitet, wobei das Stroh einzeln hineingelegt werden mußte. Außer Eltern, Paten und sonstigen nahen Angehörigen durfte niemand in die Brautkammer kommen. Man glaubte auch streng vermeiden zu müssen, daß jemand auf das Bett schlug. Es durfte nur sanft gestrichen werden. Oft waren die meist geliehenen Brautbetten so hoch, daß zuweilen ein Kissen herunterfiel. Wenn dieses Unglück eintrat, so zweifelte der Ehemann nicht mehr, daß er zuerst sterben werde.
Am Hochzeitstag pflegten sich die Paare über das Kreuz zu waschen, damit sie in ihrem Ehestand nicht beschrieen würden. Vom sogenannten Hochzeitsbrot mußte immer etwas aufgehoben werden, weil die Eheleute der Meinung waren, auf diese Weise könnten sie künftigen Nahrungssorgen entgehen.
Aber auch auf andern Gebieten breitete sich ein merkwürdiger Aberglaube aus. So galt es als eine unantastbare Wahrheit, daß ein Kranker sterben werde, wenn in der Kirche für ihn gebetet würde, und dabei völlige Stille herrschte. Nur wenn jemadn hustete, oder sonst ein geräusch vernehmbar war, blieb er am Leben. Jeder Kranke, der nach empfangenem Abendmahl zu essen begehrte, wurde für verloren gehalten. Wenn er aber nur zu trinken wünschte, so glaubte jeder, daß er wieder gesund werde.
Den Frauen, welche Kröpfe bekamen, schärfte der Volksmund ein sonderbares Heilmittel ein. Sie müßten bei zunehmenden Mond, sagte man ihnen, jeden Abend den werdenden Kropf streicheln und die Augen auf den Mond gerichtet, dreimal sprechen: „Was ich sehe, vermehre sich, was ich genieße, verzehre sich.“. Dieses Spiel sollte solange wiederholt werden, bis eine Besserung eintrat. Viele kämpften schon damals gegen solche Verirrungen an und wandten dagegen ein, die Religion werde mißbraucht, und außerdem hätte der ganze Schwindel ja gar keinen Wert. Aber die Bauern ließen sich ihr Geheimnis nicht nehmen.
Wenn auf der Straße die Hunde heulten, so war man sich darüber einig, daß in der Nähe ein Feuer entstehen oder in der Nachbarschaft irgend jemand sterben werde. Das neu aufgenommene Gesinde durfte am ersten Sonntag nicht in die Kirche gehen, weil man fürchtete, es werde sich sonst nicht „eingewohnen“. Die Krähen, die schreiend um ein Haus flogen, zeigten irgendeinen Todesfall an, und wenn dabei auch nur irgendein Stück Vieh umkommen sollte. Die Kirchenglocken, die nochmals anschlugen, wenn das Geläute bei einer Beerdigung aus war, forderte bald ein neues Opfer aus der Gemeinde. Wenn dabei die große Glocke anschlug, so mußte eine erwachsene Person sterben, die mittlere kostete einen jungen Menschen und die kleine ein Kind.
Wer bei abnehmenden Mond in eine neue Wohnung zog, dem prophezeite man Unglück und behauptete, sein Vermögen werde abnehmen. Die Brautleute achteten sehr genau auf diese Regel, umso mehr, als sie reich werden zu können meinten, wenn sie bei Regenwetter einzogen. Beim Einzug selbst gab es meist eine Tierquälerei: wer eine neue Wohnung bezog, mußte zuerst etwas Lebendes, eine Katze oder einen Hund hineinwerfen, denn es ging das Gerücht, wer zuerst eintrete, müsse sterben.
Wenn die Zimmerleute zu einem neuen Bau Holz fällten, so sprang oft beim ersten Hieb Feuer heraus. In solch einem Fall meinten sie, das Gebäude werde bestimmt abbrennen, welches aus diesem Holz erbaut würde. Einmal soll ein Mann das völlig gezimmerte Holz verkauft haben, als er hörte, deim Zimmern seien Funken herausgesprungen. Alle Versuche, ihn vom Unsinn seiner Einbildung abzubringen, schlugen fehl. Er verkaufte mit Schaden und glaubte nicht an eine natürliche Ursache jener Funken. Wer ein neues Haus kaufte und die Absicht hatte, darin zu bleiben, der mußte in den Ofen schauen „um sogleich einzugewohnen“. Das neu einziehende Gesinde mußte diese Torheit auch mitmachen und außerdem der Herrschaft durch die Beine kriechen.
Besonders merkwürdig ist ein vielgeprießenes Universalheilmittel gegen Zahnschmerzen. Bei Kindern, welche die ersten Zähne verlieren, sollten die Eltern, bei den Mädchen der Vater, bei den Knaben die Mutter, die ersten ausgefallenen Zähne verschlucken. Man glaubte allen Ernstes, diese Kinder blieben ihr Leben lang von allen Zahnschmerzen verschont.

Entnommen aus dem „Glückauf!“-Heft des Erzgebirgsvereins anno Februar 1933