Burgenbericht – Syrien

Die mittelalterlichen Burgen in Syrien

Syrien ist berühmt für seine Kreuzritterburgen. Was also lag näher, als einige (so viele, wie nur möglich – ich kann von mittelalterlichen Befestigungswerken nicht genug bekommen! Jeder hat so seine Marotte.) auf einer interessant und ökonomisch sinnvoll zusammengestellten Reiseroute zu besichtigen, denn wie jedes Mondjahr hatte auch das heurige (1426) am Ende des Ramadans eine für Nicht-Moslems recht unausgefüllte Zeitspanne von mindestens drei Tagen, die hier traditionell dazu verwendet werden, die weitläufige Verwandtschaft zu besuchen oder einzuladen, wobei sich alles ums Essen dreht und allerlei nette Geschenke gemacht werden. Die Kinder dürfen Feuerwerkskörper zünden und mit Spielzeuggewehren auf ihresgleichen zielen. In den Straßen sind dürftig zusammengeschweißte Stahlgerüste aufgebaut, in denen selbst die älteren Jugendlichen bis zum Exzess schaukeln, was eine Äußerung ihrer guten Laune bezeugen soll. Würde man in Deutschland Weihnachten, Silvester und ein Dorffest in einem Aufwasch durchziehen, käme ähnliches heraus…

Hier muss ich kurz abschweifen, um ein Seitenlicht auf das moslemische Leben zu werfen. Vielleicht streife ich dabei auch etwas die Astronomie, aber nur sacht, um mich nicht in unauflösbare Widersprüche zu verwickeln.
Theoretisch kann man den Mondlauf auf einige hundert Jahre im Voraus berechnen, die Erdachsenverschiebung und die Sonneneruptionen, die unser Magnetfeld verändern und damit die Lichtkrümmung unter Umständen beeinflussen könnten, mit einbezogen. 😉 Weiterhin gehe ich recht in der Annahme, dass der Mond überall auf der Erde (auf der Seite jedenfalls, auf der er sichtbar ist!) in der selben Nacht voll erscheint, da der Abstand zwischen uns und unserem treuen Begleiter im Vergleich mit dem zur Sonne verschwindend gering ausfällt, wollte man ihn nur endlich einmal ausmessen.
Für uns Europäer liegt also kein Geheimnis darin, wann der Mond voll und wann er in diversen Halb- und Viertelzuständen sichtbar wird. In dem Sinne ist er auch etwas seiner Mysteriösität beraubt und entzaubert worden. Wir schauen in den Mondkalender und damit hat sich die Sache.

Nicht so der arabische Moslem. Für ihn ist das Zeichen zum Id al-Fittr, dem großen dreitägigen Fest des Fastenbrechens am Ende des Ramadans, erst dann gegeben, wenn er die silberne Scheibe nicht mehr am Himmel erblicken kann. Wirklich ungünstig ist diese Praxis bei Bewölkung, möchte man scherzen, aber die Realität ist noch viel ulkiger! Denn obwohl durchaus klare Sicht herrschte, wurde der Id in Libyen beispielsweise bereits am 01.11.2005 ausgerufen, in Ägypten jedoch erst am 02.11., obwohl es auch noch an Libyen grenzt! Hier in Syrien waren die Hardliner der religiösen Fraktion noch uneinsichtiger und erlaubten die Zeremonie erst am 03.11., wo sich bereits eine deutliche Sichel am Nachthimmel abgezeichnet haben muß…

Aus dieser für uns verwirrenden Handhabung im Grunde recht simpler Gegebenheiten resultieren daher ganz eigene Auswirkungen. Niemand kann einem beispielsweise Auskunft darüber geben, wann der letzte Schultag sein wird, ob morgen Busse fahren oder man bereits wieder in der Straße essen darf. Nicht einmal der Direktor meines Spracheninstituts in Damaskus konnte sich zu einer diesbezüglichen Aussage durchringen, wann er seine Lehrer heimschicken würde und ob es Sinn mache, am übernächsten Tag den Weg zur Schule anzutreten. Meine anfängliche Perplexizität machte nach kurzer Zeit schon gutmütiger Lächerlichkeit Platz. Da stehen sich zwei Welten gegenüber, zwischen denen es nahezu keinen Anknüpfungspunkt gibt. Es hilft da beispielsweise gar nichts, jemandem zu erklären, dass es eine ausgemachte Sache sei, wann Neumond sein wird – er wird es schlicht nicht glauben. Wie so oft hier versagen unsere Vorstellungen von Logik (für die die ollen Griechen verantwortlich zeichnen), wenn die besseren Argumente einfach nicht greifen. Was nutzt mir da dann meine Logik, wenn ein Mensch, nur weil er aus einem anderen Kulturkreis kommt, sagen kann, er glaubt es nicht? Das nötigt mir große Zweifel an der von uns wahrgenommenen Realität ab, denn scheinbar gibt es noch ganz andere Realitäten, von denen wir gar keine Vorstellung haben. Viele fühlen sich von derlei haarsträubenden Erlebnissen vor den Kopf gestoßen, ich muß doch bei aller Tragik der Lage immer wieder über meine Araber lächeln, ich kann nicht anders.

Um zum Punkt zu kommen: Niemand war willens und fähig, mir einen Termin zu nennen, an dem definitiv keine Schule sein würde. So legte ich meine Abreise aus Damaskus recht eigenwillig auf den 02.11.2005 (was sich im Nachhinein als guter Mittelweg zwischen den unterschiedlichen moslemischen Sichtweisen herausstellte!) und machte mich – meinem Reiseplan gemäß – pünktlich um sieben Uhr auf den Weg zur Busgarage, die sich von meiner Wohnung etwa 2 km nordöstlich an einer der großen Ausfallstraßen aus Damaskus befindet. Einen Reiseplan hatte ich tatsächlich im Voraus erstellt, an den ich mich zu halten gedachte, mochten alle Sarazenesen gegen mich sein! Auf den Spuren auch meiner Geschichte wollte ich den letzten Zeugen dieser bis in unsere Zeit nachdauernden Ära gegenübertreten.

Da ich also meinen persönlichen Id auf eine Dauer von 4 Tagen festlegte (der 02.11. fiel auf einen Mittwoch, eingedenk des hiesigen Wochenendes, das Freitag und Sonnabend umfasst, ergaben sich mithin 4 freie Tage, von denen ich den letzten hiermit benutze, meine Erlebnisse schriftlich niederzulegen), bezog ich eine Reihe mich interessierender Punkte in meine zu absolvierende Routenplanung ein: Zuallererst kam da der Krak des Chevaliers, natürlich, möchte man sagen. Ich war im nachhinein recht froh, ihn gleich am Anfang hinter mich gebracht zu haben, denn obwohl man seinen relativ vollständigen Zustand zurecht herausstellt, ist er doch bei weitem nicht so imposant, wie ihn die Reiseführer anpreisen. Auch wenn viele namhafte Orientreisende darin einig sein mögen, überwältigt war ich keineswegs, und so ließ das Kommende doch noch eine Steigerung zu, auf die ich nicht mehr gehofft hatte.
Festzuhalten ist in der Tat, dass der Krak (auf arabisch „qalaat al-hosn“) eine Wehranlage ist, die in ihren Ausmaßen und in ihrer Urtümlichkeit ihresgleichen in Europa sucht. Wenn man die seit tausend Jahren darüber hinziehende unruhige Geschichte der Region und die Belanglosigkeit der Araber in Rechnung stellt, mit der solche historische Monumente gesehen werden, ist der Zustand doch überraschend gut. Jedoch kann von Vollständigkeit keine Rede sein. Wer derlei Übertreibungen im Munde führt, hat von mittelalterlichen Burgen keinen Schimmer.

Die Mauerkronen der äußeren Umfriedung sind nahezu komplett bis zu 3 Meter abgestürzt. Das heißt, alle Zinnen fehlen, die oberen Wehrgänge, die dahinter lagen, existieren nicht mehr, die Erker, aus denen der bis an die Burgmauern gelangte Feind senkrecht von oben bekämpft wurde, ebenso. Von ihnen sieht man lediglich noch die Kragsteine, zwischen denen hindurch kochendes Wasser, Pech oder einfach aller Unrat auf die Angreifer gegossen wurde.
Der Raum zwischen dieser Außenmauer und der inneren Burg ist nicht freigemacht worden, nicht einmal exemplarisch an einem Schnitt, so dass der Besucher keinen Eindruck davon bekommt, wie die beiden Ringe zueinander in Bezug standen.
Von den Wirtschaftsgebäuden, die im äußeren Burghof an der Außenmauer anlagen, fehlt bis auf die Fundamente jede Spur, dieser Vorhof ist mit Erde und Schüttgut angefüllt.
Auch an der Innenburg ist die Zeit nicht spurlos vorbeigegangen. Zwischen den drei großen Türmen, die die schwerer zu verteidigende flach anstoßende Landzunge im Süd-Südwesten schützen, ist das Mauerwerk mitsamt den Gewölben eines ganzen Geschosses (an die 8 Meter) weggebrochen, was man an den Bruchkanten erkennen kann, die sich von den sonst auf Millimeter genau bearbeiteten Steinen abheben. Es fehlen teilweise auch die völlig glatten Außenverkleidungen der Bastionen der Innenburg, so dass die groben Füllschichten der Mauer zutage treten.
Innerhalb der Innenburg fehlt mindestens ebenfalls ein ganzes Geschoss auf allen Grundrissen, was der obere Mauerabschluss verrät.

Imposant sind allerdings die noch bestehenden zwei Geschosse darunter! Riesige Vorratshallen und Wirtschaftsräume, Schlafsäle und Stallungen sind da zu entdecken! Ich möchte trotzdem an den Zahlen zweifeln, die auch im LP genannt werden, denn eine ständige Besatzung von 2000 Rittern kann auch der Krak nicht beherbergt haben. Die Leute denken sich immer nichts dabei, mal schnell 2000 Ritter da hinein zu operieren… Klingt gut, 2000. Dabei braucht man sich doch nur die Kirche anschauen und man weiß ungefähr, wie viele Edle sich ständig innerhalb der Mauern aufgehalten haben, respektive, für wie viele das Gebäude ausgelegt war. 500, über den Daumen gepeilt, wobei auch das Gesinde nicht vergessen werden darf, dass die Versorgung der 500 aufrechtzuerhalten hatte! Also alles in allem können schon 2000 Leute dorten gehaust haben (nicht gerechnet das ganze Viechzeug und die Pferde), im Notfall, wenn die Burg als Ziel eines Militärschlages doppelt bemannt wurde, bis zu 1000 Ritter und 2000 Mann Fußvolk und Dienstpersonal, aber nicht länger als ein halbes Jahr!
Ich als alter Kreuzzugsveteran muss es ja wissen. Das sind wieder so Sachen wie mit der Isomatte vom Ötzi, welche Geschichte jedoch ein andermal erzählt werden muss. Nur mal hineinversetzen in die Zeit und die Lage, dann kannste fast alle wissenschaftlich penibelst errechneten Fakten wegwerfen, weil sie sich nicht aus ihren Schreibtischstühlen heraus schwingen und einfach mal eine Woche Burg leben.

Und entdecken muss man das Areal wirklich, denn ohne gesunden Orient (!) ierungssinn kann man sich noch fast darin verlaufen. Schilder und Aufschriften, die entweder dem Zurechtfinden oder der dezent populärwissenschaftlich vereinfachten Darreichung von historischem Datenmaterial dienen, sucht man vergebens. Nicht einmal der Ausgang ist gekennzeichnet. Wie ich kurz am Telefon schilderte, habe ich doch nicht zu unrecht einen ganzen Tag veranschlagt, denn obschon ich wieder erwarten innerhalb von 4 Stunden gegen 11:00h den Krak erreicht hatte (Man verlässt Damaskus Richtung Norden und kommt zügig in immer steiler werdendes Hügel- und Bergland, das dann nach Homs zu wieder in eine Ebene abfällt. Man kreuzt hierbei die schräg nach Nordost gelagerten Ausläufer des Antilibanon. In Homs musste ich umsteigen, wo mein Bus aus Damaskus endete und ich einen Micro nach al-Hosn bestieg, der mich in der so benannten Ortschaft am Fuße der Festung in ungemütlichem, durchdringendem Nieselregen absetzte.), zehrte das Herumklettern so an meiner Ausdauer, dass ich gegen 16:00h bereits die Ruine verließ und das in meinem Plan vorgesehene Hotel ansteuerte, weil ich meine Beine kaum noch heben konnte.

Wie froh und dankbar war ich aber erst, als ich feststellen durfte, dass mein Zimmer GEHEIZT war und aus der Dusche warmes Wasser kam! Etwas besseres hätte mir für 750 SP (etwa 12 EUR zur Zeit der Niederschrift) mit Frühstück zu dem Zeitpunkt nicht zustoßen können. Im Vorbeigehen hatte ich auch noch in einem Restaurant angefragt, ob nach dem alltäglichen Fastenbrechen (inzwischen hatte ich nun auch registriert, dass der Id noch nicht gefeiert wurde) ein Abendmahl zu erstehen sei, jedoch abschlägige Antwort erhalten und mich an einer unumzäunten Feigenplantage bestimmt auch ein wenig trotzig ob der unerfreulichen Aussicht, hungrig ins Bett zu gehen, mit den teilweise unreifen Früchten regelrecht vollgestopft. Ich habe mir angewöhnt, auf meinen Reisen nicht dann nach etwas Essbarem Ausschau zu halten, wenn mich mein Magen daran erinnert, sondern mich zu verproviantieren, wenn ich ohne großes Aufsehen an Futter komme. Ebenso halte ich es mit anderen Notwendigkeiten…
Trotzdem erkundigte ich mich beim Rezeptionisten, ob denn etwa (ich rechnete eigentlich nicht mit einem Wunder, aber da geschah es auch schon) das Etablissement über eine eigene Küche verfügte. Was kleines sei schon zu haben, ob ich denn faste? Ordnungs- und nicht wahrheitsgemäß antwortete ich mit „ja“, obwohl ich Sorge hatte, dass nicht ein verirrtes Stück Feigenhaut zwischen meinen Zähnen hervorlugen würde. Mit dieser Aussage, dass man nämlich faste, macht man einem Moslem eine ungeheure Freude. Er erblickt in einem sogleich den Bruder, den Mitleidenden, noch überhöht durch das Bewundern, dass der andere gar nicht fasten müsste, es aber aus lauter Brüderlichkeit aus freien Stücken doch tut. Kann man einem Menschen eine größere Freude machen mit weniger Einsatz? Ich denke, nicht. Und wenn man das Strahlen im Gesicht eines solchen freundlichen Menschen einmal gesehen hat, fühlt man auch keine Gewissensbisse mehr über die Lüge, die man soeben in die Welt setzte. Eine solche kindliche Freude ist doch noch jede Lüge wert!

Nach 17:00h versprach mir der Mann also etwas kleines, ich rechnete höchstens mit einem lauwarmen Imbiss (man sagt wohl auch schon einmal Snack dazu). Er würde mich wecken, falls ich schlafen wolle, beruhigte er mich noch, obwohl ich mir deswegen gar keine Gedanken machte. Ich wollte ja auch nicht schlafen…

Wie ich aber so von einem langen, an der frischen Luft verbrachten Tag ausgestreckt auf meinem Bett lag, die Füße dicht am Plattenheizkörper, die feuchten Sachen auf allen möglichen Gestellen, die ich finden konnte, darum herum platziert, zog es mir ganz schnell doch die Augenlider zu und ich dämmerte sanft, als es tatsächlich an meiner Tür klopfte. Sollte es schon 5 geworden sein? Ein Blick auf meine goldene Armbanduhr bestätigte das. Also schnell die inzwischen trockenen Kleidungsstücke übergeworfen, die ausgewärmten Schuhe an die Füße gesteckt und hinauf in die lobby. Ja, hinauf musste ich, denn die Hänge des Berges sind so steil, dass das Hotel – bergseitig betreten – ebenerdig den Empfang hat, sich die Zimmer aber in drei Etagen talwärts darunter befinden. Unverbaubarer Blick auf den Krak übrigens. Oben saß man schon zu Tisch, und was staunte ich, als ich – von den netten Herren in ihren Kreis gebeten – die Speisen sah: Fleischklopse mit Champignons, Auberginensalat, Paprikasalat, gegrilltes Hähnchen mit frittierten Kartoffeln, Joghurt, Erbsbrei mit Olivenöl, Fladenbrot… Ich konnte es kaum fassen, ausgehungert, wie ich war, ich hatte ja kein Mittagessen gehabt! Ich griff also tüchtig zu und kam damit nur meiner Pflicht als Gast nach, denn die Verschmähung des Essens, zu dem man gebeten wird, ist doch eine rüde Beleidigung, die ich niemandem antun würde. 😉

Beiläufig tummelten sich in der Lobby noch andere Gestalten, die sich vorwiegend in dem mir leider völlig unverständlichen Französisch unterhielten, so dass sich mir Sinn und Zweck nicht offenbarten. Eine ältere Dame aus der Gruppe hielt nun ebenfalls auf den hinter der Rezeption aufgebauten Tisch zu und erkundigte sich in fließender arabischer Umgangssprache, ob sie auch ein wenig abbekommen dürfte. Sofort sprangen die Männer auf, um ihr einen Platz anzubieten und selbst im Stehen weiterzuessen. Sie bedankte sich. Zu mir gewandt setzte sie in Englisch eine Entschuldigung hinzu, ich solle mich doch nicht stören lassen (was mir auch nicht direkt in den Sinn gekommen wäre – sollte ich da etwas an meinen Tischsitten feilen?). Also saßen wir da und aßen von den immer noch gut gefüllten Platten und Tellern. Sie stand auch wieder auf und kümmerte sich um die etwas europäischer Aussehenden, ich machte mir – wie immer – keine weiteren Gedanken.

Gerade hatte ich mein „hamduliläh“ hergesagt, mit dem jedes Essen endet, und wollte den Feigen noch einen abendlichen Besuch abstatten, weil mir der Nachtisch zu kurz gekommen schien, ich stand nur ganz kurz an die Rezeption gelehnt, da spricht mich doch die Frau wieder an. Ganz so unhöflich bin ich ja auch nicht, also ein wenig Konversation statt Feigen… Aus der Konversation wurde dann noch ein richtiges Gespräch, im Laufe dessen sich herausstellte, dass die gute Frau 1) studierte Architektin ist, 2) für einige längere Zeit für eine Gesellschaft namens „Aga Khan Trust for Culture“ tätig gewesen ist (auf deren Website ich oft und gerne surfe und sehr viele interessante Themen zu historischer aber auch contemporärer islamischer Architektur finde, unter anderem kann man sich dort auch einen neudeutsch genannten „account“ einrichten und selber Präsentationen und Datenmaterial eigener Projekte hochladen, eine interne Jobbörse durchsuchen und mit anderen Mitgliedern in Kontakt treten – unter anderem hat dieser Verein die Assasinenburg in Musyaf konserviert, die auch auf meinem Weg lag – aber dazu später), 3) nun als stellvertretende Chefin vom Amt für Archäologische Ausgrabungen und Museen in Syrien zuständig ist, und neben anderen Fakten 4) in ihrer Jugend über einen Studentenaustausch mit der DDR in Dresden war und in Sachsen rumgereist ist. Genug Gesprächsstoff jedenfalls allemal, um einen interessanten Abend zu haben. Natürlich wurde ich eingeladen, sie zu besuchen, sie spricht auch noch passables Deutsch – welch Schande, ich mit meinen stümperhaften Fetzen übelster Ammiya (arabische Umgangssprache)!

Doch auch dieser Abend ging zu Ende, wir waren allesamt auch ziemlich schläfrig geworden, so dass wir uns verabschiedeten und ich meinen Abendspaziergang nachholen wollte. Etwas frische Nachtluft vor dem Schlafengehen würde besser sein als der alte Rauch aus der Lobby in den Lungen. Ich trat ins Freie und eh ich mich versah, lenkte ich meine Schritte doch wieder gen Krak. Naja, eine Runde rundrum würde genügen. Auf halben Weg überraschte mich dann wieder der Regen. Hört gleich auf, dachte ich, lauf weiter. Doch es wurde stattdessen ärger und so war ich bis auf die Haut durchnässt, als ich wieder im Hotel ankam. Nun hatte ich auch einen guten Grund, die Dusche ausgiebig zu benutzen. Die Sachen wurden also wieder auf die Gestelle gehängt, wo sie bis zum Morgen schon trocknen würden. Ich wollte auch früh los, weil ich keine Details über eine Verbindung mit öffentlichem Transport nach Safita, meinem nächsten Ziel, herausfinden hatte können.

Der nächste Morgen war genauso wolkenverhangen und naß, wie der alte Tag aufgehört hatte. Ich hörte schon das Tropfen des Wassers, bevor ich die Augen aufmachte. Ganz kurz dachte ich daran, einfach liegen zu bleiben in meinem warmen Zimmer – hier in Damaskus habe ich solch einen Luxus nicht! Doch der innere Schweinehund ließ sich ermahnen, ich legte meine Rüstung an, Moment – ich legte meine Reisekledage an! Na eben, die Rüstung hätte ich nicht selber angelegt, sondern mein Knappe! Jetzt bin ich wieder richtig! Also alle Stücke zusammengesammelt, noch mal umgeschaut, ob nicht etwa gar der Reisepaß eine Ehrenrunde einlegen wolle, nein, doch nicht. Frühstück mit Blick auf den verregneten Krak – und hinaus ins Ungewisse! Angeblich solle es wohl doch direkt einen Microbus von der etwas entfernt liegenden Autostrad aus nach Safita geben. Zu Fuß wären es 20 km Luftlinie, allerdings im schroffen Bergland und aufgeweichtem Boden hätte das einen Gewaltmarsch von mehr als 5 Stunden gekostet, den Regen noch nicht in Anschlag gebracht. Da gab es keine Überlegung, ich nahm den Weg am Krak vorbei ins Tiefland zur Schnellstraße. Der Niesel ließ nach, und so sah ich voller Erwartung dem Unbekannten entgegen. Der Weg vom Krak talwärts zieht sich etwa 5 km bei stetigem Abfall, wobei man nach etwa einer Stunde an die 600 Höhenmeter hinter sich lässt. Dann trifft man auf eine größere Straße, der man folgen muß, um zu der Autostrad zu gelangen. Ohne Karte hatte ich nur eine verschwommene Vorstellung der Entfernungen. Kein Micro, der passierte, machte Anstalten, mich aufzulesen. Der Regen wurde intensiver. Meine gute Laune ließ nach, während ich fürbaß schritt. Ein mitleidiger Fahrer nahm mich schließlich bis zur Autostrad mit, die in erstaunlicher Entfernung lag! Nach kurzem Warten stieg ich einem Transporter zu, der aber schon nach 5 km meine Richtung verließ. Unter einer nahen Brücke würde schon wieder ein Auflesepunkt für vorbeifahrende Mitfahrgelegenheiten zu finden sein…
Doch die wollten nicht so wie ich gerne wollte. Was bleib mir übrig, als dem Regen zum Trotz auf dem Standstreifen der Asphaltpiste weiterzulaufen? Meine Wüstenstiefel, die dem stehenden Gewässer auf der Fahrbahn nichts entgegenzusetzen hatten, wurden schon merklich feucht.
Nach endlosen Kilometern (waren wohl nicht mehr als 3) und ungemütlichem Nieseln, das nun nicht mehr auf der Oberfläche sitzen blieb, erreichte ich wieder eine Brücke, unter der ich mich letztendlich in die Notwendigkeiten fügte, die dem Wanderer in arabischen Ländern so gar kein Verständnis entgegenbringen. Schließlich bekam ich doch noch einen Micro, wobei mir völlig gleichgültig geworden war, wohin er mich brachte, Hauptsache weg aus dieser nasskalten Einöde! Auf dem Schild konnte ich zwar „Safita“ entziffern, auf Nachfrage jedoch verriet der Fahrer, dass er in die nächstgrößere Stadt Tartus (Kreuzfahrerhafen Tartosa) unterwegs sei und auch nicht willens, einen Abstecher meinetwegen zu machen. Der Abstecher hätte auch 20 km betragen, wie auf den Wegweisern geschrieben stand… Mit einer guten Karte hätte ich mir solche Illusionen gar nicht gemacht! Jetzt stand ich vor der Entscheidung, von Tartus aus direkt nach Baniyas und anschließend al-Marqab weiterzureisen, auf Safita zu bestehen oder eventuell der Medina von Tartus Hallo zu sagen. Entsprechend der Anweisung im Hagakure, das nämlich ein Samurai seine Entscheidung innerhalb von sieben Atemzügen treffen solle um anschließend nicht weiter darüber nachzudenken, überlegte ich nicht allzu lange und suchte mir in dem Gewühl von Microbussen denjenigen nach Safita. Das bedeutete zwar einen ziemlich weiten Weg zurück, aber ich hatte mir in den Kopf gesetzt, die Templerburg zu sehen, beziehungsweise die Reste davon, denn in meinem LP stand nur etwas vom Bergfried, in dem eine Kirche im Erdgeschoß sein sollte. De facto existiert die Burg noch weitgehend in ihren alten Ausmaßen, nur ist sie nicht wie üblich gänzlich verlassen oder als Steinbruch für Baumaterial benutzt worden, sondern wurde von den Bewohnern der Stadt zu ihren Füßen einfach zivil erobert und erfüllt damit mehr als alle anderen zu Ruinen degradierten Bauwerken noch heute ihren Zweck, nämlich Menschen zu beherbergen! Vom Bergfried aus kann man die Grundmauern noch gut ausmachen. Ich war ehrlich überrascht, wie groß auch diese Anlage einst gewesen sein muß.

An die hundert Ritter und 300 Laien und Bedienstete hat sie sicher aufnehmen können. Da die Templer eine Art Elitetruppe darstellten, machten ihrer hundert eine Übermacht von 500 Gegnern leicht wett. Der Bergfried ist in einem bedauernswertem Zustand. Obwohl noch heutigen Tags regelmäßig Gottesdienste in der Kapelle abgehalten werden und das Gotteshaus demnach Mittel aufbringt, um den Baukörper zu erhalten, übersteigt der Aufwand scheinbar deutlich die Möglichkeiten der Gemeinde. Die Außenmauern des rechteckigen Turmes weisen bereits Versätze von bis zu 30 cm auf, die Reste der Zinnen, die immerhin massive Blöcke mit zwei bis drei Tonnen bilden, liegen lose auf der Mauerkrone – manche schon überhängend oder kippelnd. Nicht einmal eine Frage der Zeit und sie stürzen unwiederbringlich die 25 Meter in die Tiefe und schlagen in die an der Mauer klebende Cafeteria al-Burdsch…

Außer der Kapelle, dem darüber befindlichen Schlafsaal (nur im Fall, Angreifer hätten den Rest der Burg bereits eingenommen, denn die Templer lebten ja klösterlich in Zellen, zu zweien, wie Du weißt) und dem Blick vom Dach kann man also recht wenig bestaunen, wenn man nicht seine Phantasie etwas bemüht und die Burg vor seinem inneren Auge zum Leben erweckt. Tatsächlich kann man selbst bei schlechtem Wetter (es regnete gerade nicht, aber die in den Bergen hängenden Wolkenfetzen zogen geisterhaft über die zerklüftete Landschaft und es fröstelte mich, weil ich doch schon angefeuchtet war) den Krak des Chevaliers von da ausmachen. Angeblich sollen die beiden über Leuchtfeuer in Verbindung gestanden haben.

Noch ein Felafel an der Bude reingeschnurpst, und ich machte mich auf den Weg zurück nach Tartus, meine Neugier war befriedigt. Safita wäre wahrscheinlich ein gutes Studienobjekt, wie es überhaupt über die Kreuzfahrerburgen im Heiligen Land und dem Weg dahin scheinbar keine oder nur lückenhafte Forschungen gibt. Gleich unterhalb der Burg befindet sich noch eine Kirche, die ebenfalls aus der Templerzeit stammt, von außen ist sie leider komplett überarbeitet worden und damit leider völlig verhunzt, innen überraschenderweise aber noch unverändert. Natürlich fehlen wie allerorten die Fresken und Bemalungen, weil der Verputz abfällt, so dass nur die nackten Gewölbe einem ihre ausfransenden Unterseiten entgegenstrecken, jammervolles Bild einer zu lange überdauerten Blütezeit, wie wenn die Steine in ihrem Schlummer von den alten Ären träumen…

Durch die pittoresk durchgestaltete Landschaft, die schon so viele Menschengeschlechter kommen und gehen sah, führt der Weg über Serpentinen und ständiges Auf und Ab wieder ins Küstenland von Tartus, von dem mich meine Reise am Ufer des Mittelmeeres entlang wiederum etwa 30 km nordwärts nach Baniyas brachte, das den Ausgangspunkt für die Besichtigung der Feste al-Marqab bilden sollte. Mein Zeitplan stellte sich als gut geschätzt heraus, obwohl ich befürchtet hatte, ihn nach dem Verzug vom Krak zu den Akten legen zu müssen. Irgendwo unterwegs hatte ich ihn wieder eingeholt.

Baniyas selbst ist eine neumodische, hässliche, arabische Küstenstadt, aber hoch oben thront die schwarze Feste al-Marqab. Die Entfernung und die Steigung schätzend legte ich fest, mir die Quälerei nicht antun zu müssen, weil ich meine Kräfte dringender benötigen würde, um die Anlage zu besichtigen. Klug gehandelt, denn ich wäre am Ende gewesen! Selbst mit dem Micro dauerte es noch einmal eine Viertelstunde bei zügiger Fahrt, bis ich landwärts am Fuß der Festung stand, die mir nun den Ausblick aufs Meer versperrte.

Mir fehlen die Worte, um den Anblick zu beschreiben, den mir die Festung bot. Mich schauert noch immer, wenn ich daran denke! Irgendetwas wohnt noch immer in den Mauern, etwas hat die Zeiten überdauert von der Mächtigkeit, von dem Willen, der nötig war, diese Gestalt zu bilden! Vergiß Krak des Chevaliers. Er ist nur ein (wörtlich) blasser Abglanz. Vielleicht liegt es wie so oft im Auge des Betrachters, denn die weiße Festung hatte mich nicht wirklich fesseln können, nur der eine Blick aber auf al-Marqab hatte mir ans Innerste gerührt.

Und dieses Gefühl, hier etwas ganz einzigartiges vor mir zu haben, bestätigte sich mit jedem Schritt, den ich setzte, jeder neuen Perspektive, die hinter der nächsten Ecke auf mich wartete und die gefunden werden wollte. Viele Besucher finden nicht den Weg nach al-Marqab, auf den großen Touristenrouten rangieren Qalaat al-Hosn (Krak des Chevaliers) und Qalaat Salah ad-Din weiter vorne. Von den Syrern wird al-Marqab als Ausflugsziel benutzt, um zwischen den Steinen herumzutollen. Nur das südliche Drittel der Anlage ist noch in einem Zustand, den ich als betretbar bezeichnen will.
Der Rest gleicht einem Ausschnitt aus „Planet der Affen“, als Charlton Heston die Freiheitsstatue findet. So ähnlich ist mir da auch geworden, wenn ich ein Bild geben soll. Die Gewissheit, ein Stück Deiner eigenen Geschichte vor Dir zu sehen, in deutlichen Zeichen wie in einem aufgeschlagenen Buch musst Du lesen, Du kannst es nicht vermeiden, weil die Schrift zu Dir spricht… Du hastest weiter und weiter, nur um die schreckliche Wahrheit ganz zu erfahren, Du kannst den Blick nicht abwenden von dieser schrecklichen, angsterregenden, zertrümmerten Schönheit.

Die Photografien können nichts von dem, was ich sah, wiedergeben. Auch nicht meine Worte. Ich suche nach Formeln, und obwohl ich doch manchmal recht forsch und frei mit unserer Sprache umgehe, hier muß ich passen, ich gerate ins Stammeln und Stottern. Durch Mark und Bein, wie es so schön heißt. Nur ist es keine Angst, die mich zittern lässt. Es ist eher ein Gefühl der Freude, das die Verbindung nicht abgerissen ist, ja, die Zuversicht, dass sie niemals abreißen wird, die Verbindung mit unseren Vorfahren und damit auch unsere Verbindung mit unseren Nachkommen, laß es mich so ausdrücken.

Al-Marqab.

Dem Sonnenuntergang wohnte ich noch auf den Mauern der Feste bei, später warf mich der Kassierer hinaus. Da stand ich, noch ganz fassungslos, wie aus dem Paradies vertrieben. Wohin sollte ich mich wenden, etwa in diese Niederung menschlicher Existenz da unten zu meinen Füßen? In den Mief und den Lärm und den Dreck der Neuzeit? Ich hatte doch zu ernst mit dem Gedanken gespielt, dass man mich einfach vergessen würde, wie alles andere hier oben. Ich hatte mich schon Quartier zwischen den Mauern machen sehen… Verpflegung hatte ich mir organisiert, nachdem ich die Feigen, die ich am Morgen am Krak noch eingesackt hatte, auf der Nordbastion al-Marqabs vervespert hatte, die, wie die Ostflanke, durch einen Steilabhang gesichert ist. Dort wachsen inmitten von mannshohem Gestrüpp wilde Granatäpfel, von denen ich meinen leeren Brotbeutel auffüllte. Auf dem Weg entlang der Außenmauer kam ich noch an einem Feigenkaktus vorüber, dessen rot-orange leuchtende Früchte weitestgehend außerhalb meiner Reichweite hingen. Eine jedoch konnte ich erhaschen. Ich wälzte sie auf der Erde, um die unzähligen kleinen glasartigen Stacheln abzustreifen, die sonst zwangsläufig in den Händen und der Zunge stecken bleiben. Mit einem Papiertaschentuch (hatte ich natürlich dabei, man weiß ja nie) nahm ich die zitronengroße Leckerei in die Linke, mit der rechten war ich schon mit meinem schweizer Taschenmesser zur Hand, den Blütenrest und den Stielansatz abzutrennen, um anschließend durch einen Längsschnitt die verbleibende Schale aufzutrennen. Mit der Klinge fuhr ich nun flach unter die Schale und löste sie beidseitig vom Mark, bis ich getrost mit großem Appetit in meine erste selbst erbeutete (und reife!) Kaktusfeige beißen konnte! Was für ein Genuß, sie hatte gerade den richtigen Reifegrad, wie ich sie am liebsten mag.

Die Burg wird in nächster Zeit allem Anschein nach ziemlich rapide verfallen. Es wurden und werden keine Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, die Burg ist nicht vermessen, es findet keine Konservierung statt. Viele der großartigen Gewölbe stehen kurz vor dem Einsturz. Die Mauerkronen sind zwar im südlichen Areal dürftig mit Mörtel verschmiert, im nördlichen dagegen kann davon nicht einmal die Rede sein. Ganze Bastionen der inneren Festung sind bereits in den Umgang zur Außenbefestigung abgestürzt, bei weiteren fehlt nur ein falscher Tritt. Die Außenbefestigung selbst ist teilweise abgetragen worden und der Freiraum zu Ackerland gemacht, oder sie ist gänzlich zu Tal gegangen. Sind die Gewölbe aber erst einmal ein einer Stelle unterbrochen, sackt das ganze Konstrukt in sich zusammen, da ausschließlich Druckkräfte abgeleitet werden können. So werden also auch die drei noch relativ intakten Geschosse, die sich unter der etwas angenagten Oberfläche befinden, nach fast tausend Jahren ihren Geist aufgeben und das Zeitliche segnen.

Es ist nicht als Vorwurf zu verstehen. Die gigantischen finanziellen, organisatorischen und kompetenztechnischen Erfordernisse würden nicht nur den syrischen Staatshaushalt überbeanspruchen, wo doch schon bei uns nur noch Kultur erhalten wird, wenn sich Privatpersonen in die Bresche werfen. Und da geht es um weit kleinere, gegen ein solches Vorhaben unbedeutend wirkende Projekte! Da müsste schon der König von Brunei sein Vermögen in die Waagschale werfen, um sichtbare Ergebnisse zu erzielen.

Bemerkenswert ist der Umstand, dass erst jetzt, nach 800 Jahren, die Statik langsam versagt. Das sollte einmal ein moderner, sogenannter Architekt fertig bringen, die Lebensdauer seiner Gebilde dem anzunähern. Überhaupt muß man sich vor Augen führen, dass diese Burgen, obwohl meist auf arabische Festungen, die von den Kreuzfahrern erobert wurden, aufbauend, innerhalb einer Zeitspanne von nur 50 Jahren hochgezogen wurden. Welche Massen von Gestein mussten da bewegt werden, welche Logistik, welche Geldsummen mussten da fließen, wie viel Erfindungsreichtum und Baukunst steckt darin! Nur, um nach weiteren 50 Jahren in Feindeshand zu gehen, meist auch noch kampflos. Fast genau 100 Jahre hatten die Kreuzfahrer die militärische Herrschaft über den Landstrich, dann war der Traum schon wieder ausgeträumt. Und alles, was davon geblieben ist, ist vielleicht ein einziges Wort, das die Araber aus der fränkischen Sprache übernommen haben: Burg. Die angeschlagenen Heere verschanzten sich auf ihren Festungen und die Franken nahmen noch eher den arabischen Lebensstil an, als selber kulturtätig zu werden und dem Land etwas zu geben, was assimiliert werden hätte können. Außer dem ein oder anderen fränkischen Gesicht, das einem urplötzlich entgegensieht, ist nichts geblieben.

Wie dem auch sei, ich sollte langsam zum Ende kommen. In den Kakteensträuchern, die rund um die Burg wachsen, wollte ich nach reichlicher Überlegung denn auch die Nacht nicht verbringen! Ich stellte mich wieder an die Stelle, wo ich aus dem Micro gestiegen war, um einen nach unten gehenden anzuhalten und mich, einmal in der Stadt angekommen, bis zu einem Hotel durchzufragen. Die Bereitschaft, einen solchen Sonderling wie mich zu dieser Uhrzeit (ging hart auf 6:00h abends zu) aufzusammeln, erreichte gerade ihren Nullpunkt. Aber wenn ich schon auf die Micro-Fahrer fluchen und generell alle Araber einbeziehen wollte, wurde ich doch wieder eines Besseren belehrt.
Den steilen Berg herauf quälten sich zwei Zweiräder, das eine auf nur einem Topf laufend eindeutig als halbschliefe Zwiebacksäge auszumachen, das andere mit vollem Klang von 250 ccm ohne Licht unterwegs, dafür den Blinker an, damit man es auch nicht etwa übersähe. Gerade vor mir hielten die zwei Bengels, die die Kräder steuerten. Mir schwante nichts gutes, doch es handelte sich um zwei ehrliche Jungen, die gegen eine Leihgebühr von 15 SP von einem Mann in der nächsten Ortschaft auf dem Weg nach Baniyas diese Gefährte gemietet hatten, um ihre Fahrkünste und die Technik auf der gewagten Strecke auszuprobieren, ohne schon einen Führerschein ihr eigen zu nennen oder auch nur Aussicht, die Summe für den Kauf eines solchen Fortbewegungsmittels in nächster Zeit zusammenzubringen.
Fragt mich doch der eine, warum ich da stehe und ob ich vielleicht nach unten wolle. Was sollte ich sagen, natürlich wollte ich nach unten! Ich hatte dummerweise nur Hundertpfundnoten als kleinstes Zahlungsmittel in der Tasche (die Strecke bis in die Stadt kostet normalerweise keine 10 SP, und das auf vier Rädern) und sah den Jungen schon damit das weite suchen, ohne mir einen anständigen Teil davon zurückzugeben…

Jedenfalls hieß er mich aufsitzen und schunkelte ohne Licht los, den Berg hinab. Beim ersten Kreisverkehr war denn auch Schluß und ich machte mich auf eine harte Verhandlung gefasst. Wie war ich überrumpelt, als er mir zu verstehen gab, dass es ihm eine Freude gewesen sei, mich von da oben sicher herunterzubringen und auf keinen Fall Geld annehmen wolle! Da hätte ich ihm die Hundert gerne im ganzen gegeben. Aber es war nichts zu machen, er blieb bei seinem Vorsatz, mich als seinen Gast betrachtend. Er ging sogar so weit, mich in den nächsten Micro zu setzen und auch noch die 5 SP Tax für mich zu löhnen. Der gute Junge. War höchstens 16. Hat mich mit den Arabern wieder vollkommen ausgesöhnt.

Nun stand ich also in der Niederung menschlicher Existenz, auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf für die Nacht. Und tatsächlich gab es gleich in der Nähe, wo der Micro endete, ein verschlafenes Hotel! Hotel „Baniyas“, das klingt so wie Hotel „Stadt Coburg“. Noch verschlafener als das Hotel selbst war der Wirt, der nach arabischer Sitte in den außer dem großen Schreibtisch die „Rezeption“ bildenden Ledersesseln die Nacht zubrachte. Das Zimmer kostete mich 200 SP, was eigentlich unverschämt viel für kaltes, nur tropfendes Wasser, keine Heizung und kein Frühstück darstellt, aber ich wollte nicht noch eine Stunde um die Blöcke ziehen und feststellen, dass die anderen auch so gierig wären.
Augen zu und durch. Das Waschen konnte ich auf Hände und Gesicht beschränken, ich bin manchmal sehr bescheiden. Vorher erstand ich noch vom zweitletzten Hähnchengrill ein halbes Brathuhn (Der erste wollte keines teilen. Die Zeiten sind auch vorbei, in denen ich ein solches Ungetüm alleine beseitigt habe.), zu dem ein frischer Salat gereicht wurde, das unvermeidliche Fladenbrot (ist ja lecker!), ein Teller mit etwas ungewohnt schmeckender Mayonnaise sowie einer mit dem bereits öfter erwähnten Erbsbrei mit Olivenöl. Ich tat mein Bestes, teilte mir aber dennoch meine Mahlzeit so ein, dass sie noch ein Frühstück am nächsten Morgen abgeben würde, denn nun griff definitiv der Id um sich und verlangte außergewöhnliche Maßnahmen zur Erhaltung lebenswichtiger Körperfunktionen. Generell kann sich der arabische Imbissbudenbetreiber nicht vorstellen, dass es Menschen geben soll, die hungrig zu nachtschlafener Zeit (7:00h morgens) seiner veredelten Lebensmittel bedürfen. Und während des Ids verschwendet er schon gleich gar nicht einen seiner ohnehin behäbigen Gedanken an Leute wie mich – ganz und gar außerhalb seiner Vorstellungswelt, Leute wie ich existieren de facto nicht in seiner Realität. Dessen war ich mir voll bewusst und schleuste eine Hinterkeule in ein halbes Fladenbrot gewickelt auf mein Zimmer.
Die Nacht war kalt und ich musste letztlich die räudige Hundedecke doch noch über meine Beine werfen, obwohl ich wie gewöhnlich in solchen ungemütlichen Situationen voll angekleidet auf dem Bett lag. Nach unruhigem Schlaf dämmerte der Morgen. Ich bilde mir ein, die Sonne kurz erfreulich in mein Stübchen strahlen gesehen zu haben. Das war allerdings ein kurzes Gastspiel und diente lediglich meiner Verwirrung, denn der Tag, der da kommen sollte, war noch verregneter als die zwei vorangegangenen.

Ich gelangte schon nicht mehr trockenen Fusses zur Karajat Micro (Microbus-Garage, weil die Syrer kein „G“ sprechen wie die Ägypter, müssen sie daraus ein „K“ machen; in Arabisch wird dann das „e“ von „Garage“ durch einen Buchstaben wiedergegeben, der „ta marbuta“ heißt, in der Hochsprache auch tatsächlich als „-at“ gesprochen wird, in der Umgangssprache aber zu „a“ verkürzt wird und abgeschliffen im syrischen Dialekt „e“ gesprochen wird; komischerweise sagen die Leute aber dann trotzdem „karajat“…), wo ich ein Weilchen auf meinen Transport durch wildes Bergland nach Qadmous warten musste. Die Landschaft ähnelt schon beinahe den Bildern aus dem Dokuband „Nuristan“. An steilen Abstürzen vorbei und über schmale Berggrate schlängelt sich das Asphaltband immer höher hinauf, die Gesichter der Leute werden kerniger, der Anteil der armeebasierten Obertrikotagen nimmt schließlich an die 50 Prozent ein – ein sicheres Zeichen, sich in abgelegenen Bergregionen zu befinden! Erstaunlich schnell füllte sich der weiterführende Bus nach Musyaf, ich hatte kaum 10 Minuten Aufenthalt. Wiederum ging die wilde Fahrt nun eher an den Bergseiten entlang und in die Schluchten hinunter. Die vorhin noch unbewaldeten Höhenzüge wurden nun mit Kiefern und ähnlichen nadelartigen Bewuchs überzogen, zwischen dem Geröll sah ich auch schon wieder erste Felderstreifchen an den Hängen terrassieren. Das Bergland wurde welliger, weniger schroff, schließlich öffnete sich das Gelände in einen von Felsinseln durchsetzten Kessel, das Hochland von Musyaf. Und mitten in einem brandenden Häusermeer die Burg auf ihrem, aus einer solchen Felsinsel gebildeten, Steinsockel, im Hintergrund türmen sich die Berge, der Regen hängt tief in den Schluchten, bleiern der Himmel.

Ich umrundete die Burg erst halb, bevor ich direkt darauf zuhielt, einen weiteren engeren Halbkreis beschrieb und durch einen einzelnen Torbogen in Richtung des Eingangs schritt. Die äußeren Befestigungsanlagen sind weitgehend verloren, auf der Talseite sind Reste davon in einen Feigenhain verwandelt worden (der nun zu einer Müllkippe verkommt). Auch diese Wehranlage ist für ihre Abgelegenheit recht raumgreifend bemessen. Als schönes Beispiel rein arabischer Baukunst bildete sie gewissermaßen einen würdigen Abschluß und gleichzeitig das noch fehlende Gegenstück zu der fränkischen, die ich bislang ja ausschließlich vor Augen hatte. Der Komplex ist recht verschachtelt und war ebenfalls recht mitgenommen, bis mit Fördermitteln und Spezialisten vom Aga Khan Trust die professionelle Konservierung bewerkstelligt wurde, die in meinen Augen wirklich mit Liebe und profundem Wissen bis ins Detail ausgeführt worden ist. Musyaf ist so die wohl einzige Burg, die am ehesten einem europäischen Publikum zur Besichtigung zu empfehlen wäre. Leider fehlen auch hier höchstwahrscheinlich tiefere geschichtliche Forschungen und das Verständnis für die Notwendigkeit, einem Besucher, der es aus Eigeninteresse schafft, den Weg nach Musyaf zu finden, ein wenig glorreiche Vergangenheit in schmackhaften Häppchen anzubieten. Materie ist im Überfluß vorhanden, die Burg macht einen netten, sauberen Eindruck, der Besucher eher hineinzieht als verscheucht – es fehlt dezentes Ausstellungsdesign. Dann wäre es ein richtiges Schmuckstück! Meine Phantasie malt da gleich Bilder… Zu schön, um wahr zu sein. Und wohl auch nicht zu erwarten für einen Eintrittspreis von 5 SP.

Leider verstärkte sich der bislang etwas lustlose Nieselregen nun wieder zu einem richtigen Guß, der mich, durchweicht, wie ich war, auf der Suche nach einem Teehaus aus der Ruine trieb. Möchte wissen, wie man es dort ausgehalten hat. Der Id war in vollem Gange, so dass ich trotz beharrlichem Suchen kein Lokal ausmachen konnte, das bereit gewesen wäre, mir ein warmes Getränk auszuschenken. Schließlich, ich stellte mich gerade kurz unter einem Vordach unter, sah ich gegenüber wenigstens einen geöffneten Laden. Schnell über die Straße, auf der mangels funktionierender Kanalisation das Wasser in Bächen zu Tale schoss.
Nachdem ich mich kurz umgesehen hatte und feststellen konnte, dass der Laden auch eine Saftbar war, bestellte ich natürlich einen frischen Orangensaft. Beim Auspressen wurde dem Besitzer auch etwas wärmer – er und sein Laufbursche klapperten fast genau so wie ich. Ich schüttete das ersehnte Naß in meine Gurgel. Was für eine Wohltat, zwar kalt, aber die Lebensgeister weckend. Vor dem letzten Schluck kam das unvermeidliche „aus welchem land?“, das den Auftakt zu einem kurzen aber netten Gespräch in sehr gebrochenem Arabisch und ebenso sehr gebrochenem Englisch bildete, bei dem sich herausstellte, dass der gute Mann von seinen Vorfahren einen Scheikh-Titel ererbt, einige Jahre in der deutschen Botschaft im Libanon gearbeitet hatte und einige schöne alte Aufnahmen von der Burg vor der Aufarbeitung aus den Tagen des französischen Gouvernements besaß. Er hatte auch interessanterweise einen älteren Flyer vom Aga Khan Trust über das damals bevorstehende Burgprojekt. Er bat mich, in sein Gästebuch einen kleinen Eintrag zu hinterlassen, was ich gerne erfüllte. So verließ ich naß aber recht zufrieden das Bergstädtchen Musyaf in Richtung Hama, wo ja noch die ominösen Norias meiner harrten.

Ich mach‘ es kurz: Der Regen setzte während der ganzen Fahrt nicht aus, ich erreichte Hama also in Auflösung begriffen. In einem Felafelstand stärkte ich mich erst einmal, auch hoffend, der Niederschlag möge endlich aufhören. Der Felafel war ganz ausgezeichnet (zu meiner Überraschung entpuppte sich das Kraut in der Mischung als frische Pfefferminze, was dem ganzen eine ungewöhnliche aber durchaus zuträgliche Gesamtnote verpasste). Ich saß und schaute dem Regen zu. Schließlich wurde mir der Spaß zu derb. Ich hatte keine Ausrüstung für dieses Wetter und ich hätte noch mehrere Kilometer am Strom Orontes entlang pilgern müssen, um zu den mittelalterlichen Wasserrädern zu gelangen. Ich hätte auch gleich schwimmen können, das Ergebnis wäre vermutlich dasselbe gewesen. Ich kämpfte mich durch das Unwetter zu der Busstation durch, von der ich nach Damaskus ablegen konnte und verzichtete auf das windige Vergnügen mit den Schöpfwerken. Kurze Zeit, nachdem wir uns auf der Straße befanden, klärte es auf und die Sonne kam zu Vorschein, als ob nie ein Wölkchen den Himmel getrübt hätte. So kam ich in den späten Nachmittagsstunden des 04.11. in Damaskus an, was mir nun fast ein bisschen wie zuhause erscheint nach dieser Odyssee.

Loke Klingsor anno 2006