Solarliod – Das Sonnenlied

Solarliod
Das Sonnenlied

Gut und Leben raubte lang allen Lebenden
Jener grimme Greis:
Über die Wegscheide, die er bewachte,
Konnte keiner lebend kommen.

Einsam immer saß er und aß,
Lud nie den Mann zum Mahl,
Bis müd und matt und unvermögend
Jetzt ein Gast die Gasse gegangen kam.

Des Tranks bedürftig beteuerte sich der Fremdling
Und heißen Hunger zu haben;
Mit verzagtem Herzen zeigt er Vertrauen
Zu dem übel gearteten.

Trank und Speise spendet er dem Müden
Gern aus ganzem Herzen,
Gedachte Gottes und gab dem Bedürftigen,
Weil er sich verworfen wußte.

Auf stand jener mit üblem Vorsatz;
Nicht bedurfte der Wandrer der Wohltat.
Die Sünde schwoll: im Schlaf ermordet er,
Wie weis er war, den Reuigen.

Den Gott im Himmel um Hilfe flehte der
Als er verwundet erwachte;
Aber der andere nahm seine Sünden auf sich,
Der ihn schuldlos erschlug.

Heilige Engel schwebten vom Himmel hernieder
Und bargen seine Seele:
Ein lauteres Leben lebt sie ewig
Bei Gott dem Allgütigen.

Besitz und Gesundheit sind keinem sicher,
Wie gut es ihm ergehe.
Oft verderbt uns, woran wir am wenigsten dachten;
Niemand setzt sich selbst sein Schicksal.

Nicht versahen sich’s Säwaldi und Unnar,
Daß ihr Glück so bald zerbräche;
Doch mußten sie nackt, da nichts ihnen blieb,
Wie Wölfe fliehen zum Walde.

Zum Fall hat viele die Liebe geführt;
Viel Schmerzen schufen die Frauen:
Mein befleckte manche, die der mächtige Gott
Doch so schön geschaffen.

Schwertbrüder waren Swafudr und Swarthedin,
Mochten nicht ohn einander sein.
Eines Weibes wegen wurden sie sich feind:
Die stand ihnen zum Sturz bestimmt.

Alles vergaßen sie über dem Glanz der Schönen,
Scherz und schöne Tage,
Sie schlugen alles sich aus dem Sinn
Bis auf der Lieben lichten Leib.

Da wurden ihnen düster die dunkeln Nächte,
Sie schliefen den süßen Schlaf nicht mehr.
Aus diesem Harme erwuchs der Haß
Zwischen Bundesbrüdern.

Allzuoft wird Unenthaltsamkeit
Grimmig vergolten,
Den Holmgang gingen sie um das holde Weib
Und lagen beid im Blute.

Übermutes soll sich keiner vermessen:
Des ward ich wohl gewahr,
Denn abgefallen sind allermeist
Von Gott, die sich ihm ergaben.

Reich und mächtig waren Rädey und Webogi,
Lustig zu leben allein bedacht;
Von Feuer zu Feuer nun sieht man sie fahren,
Die schnöden Geschwüre zu bähen.

Sie hofften nur auf sich und dauchten sich hoch
Über alle Sterblichen;
Aber den Lauf wies ihrem Lose
Anders der Allmächtige.

Sie lebten nach Lust und Laune dahin
Und sparten im Spiele das Gold nicht:
Das büßen nun beide, da sie bettelnd wechseln
Zwischen Frost und Feuer.

Dem Abgünstigen traue nicht allzuviel
Wie süß er redt und raune.
Heuchl ihm Freundschaft: fremden Trug
Lassen wir weislich uns warnen.

So erging es Sörli dem guten,
Als er sich in Wigolfs Gewalt gab:
Er traut ihm treulich; doch jener trog ihn,
Der seinen Bruder erschlagen.

Er gewährt ihnen Frieden als war es von Herzen;
Man verhieß ihm Gold dagegen.
Sie schienen versöhnt beim süßen Met;
Noch kam der Falsch nicht zum Vorschein.

Aber darauf am andern Tag
Als sie Rygiartal erritten,
Mit Schwertern erschlugen sie den Schuldlosen
Und ließen sein Leben schwinden.

Die Hülle trugen sie auf heimlichen Wegen
Und bargen im Brunnen die Stücken.
Sie wollten es hehlen: der Herr aber sah’s,
Der heilige, himmelhernieder.

Die Seele lud er, der süße Gott,
In seine Freuden zu fahren;
Doch mag er wohl säumig die Mordgesellen
Ihres langen Leids erledigen.

Die Disen bitte, die Bräute des Himmels,
Dir holdes Herz zu hegen:
Deinen Wünschen werden sie in kommenden Wochen
Alles zu Liebe lenken.

Das Werk des Unmuts, das auf dir lastet,
Büße nicht Böses häufend,
Liebestat versöhne den Schwerverletzten:
Das, sagt man, frommt der Seele.

Um Gnadengaben flehe zu Gott,
Dem mächtigen, der uns Menschen schuf
Übels viel befährt der Mann,
Der seinen Vater versäumt.

Mit brünstigem Flehn erbitte dir
Wes du dich bedürftig dünkst.
Wer nichts erbittet dem bietet man nichts:
Wer ersinnt des Schweigenden Schäden?

Spät komme ich gefahren, frühe beschieden
Vor des Fürsten Türe.
Da erhoff ich, was mir verheißen ist:
Kost erlangt wer verlangt.

Die Sünden sind schuld, daß wir trauernd scheiden
Aus dieser Welt des Wehs.
Niemand fürchte sich, der nichts verbrach:
Ein reines Herz errettet.

Wolfsgestalt gewinnen alle,
Die wandelbaren Sinnes sind.
Das erfährt wohl jeder, der fahren soll
Über feuriger Flammen Glut.

Freundlichen Rat und weise geflochtnen
Sagt ich dir siebenfach:
Vernimm ihn wohl und vergiß ihn nie,
Er ist wohl wert zu wissen.

Erst will ich dir sagen wie selig ich war
In dieser Welt des Wehs.
Das ist das andre: daß alle Menschen
Wider Willen Leichen werden.

Wollust und Stolz betrügt die Sterblichen,
Daß sie nach Schätzen schielen.
Zu langem Leide wird das lichte Gold;
Manchen betören Taler.

Munter meist erschien ich den Menschen,
Denn wenig wußt ich voraus:
Die zeitliche Welt hat wollustreich
Der Schöpfer geschaffen.

Mit Neigen saß ich und nickte lange;
Doch groß war die Lust zu leben.
Aber des Waltenden Willen entschied,
Zum Tode führen Wege viel.

Die Tage der Krankheit fühlt ich unsanft
Mir um die Hüfte geheftet;
Zerreißen wollt ich sie; aber sie waren stärker:
Leichter geht sich’s lose.

Allein wußt ich, wie überall
Mir die Schmerzen schwollen.
Heim luden mich der Hölle Töchter
Graunvoll alle Abend.

Die Sonne sah ich, das schöne Tagsgestirn,
Sinken in die Welt des Schreiens,
Und der Hölle Gitter hört ich mir zur Linken
Schaurig erschallen.

Die Sonne sah ich blutrot scheinen,
Wie ich von der Welt mich wandte;
Doch heller schien sie mir und herrlicher
Als ich sie noch je gesehen.

Die Sonne sah ich, sie war so schön,
Als sah ich Gott den Schöpfer selbst.
Ich neigte der herrlichen heut zum letzten Mal
In dieser Welt des Wehs.

Die Sonne sah ich, so war ihr Glanz,
Daß sonst mir nichts bewußt mehr war.
Die Höllenflüsse hallten zur Linken mir
Gemischt mit manches Menschen Blut.

Die Sonne sah ich bebenden Angesichts,
Der Schrecken voll und Schmerzen,
Denn mein Herz, das hart bedrängte,
Zerging in Angst und Ohnmacht.

Die Sonne sah ich noch selten verzagter;
Ich war der Welt schier halb entwandt;
Die Zunge stand mir starr im Munde,
So fühlt ich sie von Frost erfaßt.

Die Sonne sollt ich nicht wiedersehn
Nach jenem trüben Tage;
Der blaue Himmel verbarg sich mir,
In Schmerzen entschwand die Besinnung.

Der Stern der Hoffnung (die Seele) in der Stunde der Neugeburt
Entflog der bangen Brust.
Er schwang sich hoch empor und setzte sich nirgends,
Daß er zur Ruhe kommen konnte.

Aber am ängstlichsten war mir die eine Nacht,
Wo ich starr lag auf dem Stroh:
Da verstand ich erst ganz das göttliche Wort:
Vom Staube stammen die Sterblichen.

Das wiss‘ und erwäge der waltende Gott,
Der die Welt und den Himmel wirkte,
Wie einsam wir beim Abschied bleiben,
Zählten wir gleich der Freunde viel.

Seiner Taten Frucht empfängt ein jeder:
Selig wer da wohl gewirkt!
Ich schatzentblößter kam auf ein Bett
Von schierem Sande zu liegen.

Der Haut zu pflegen vergißt man der Pflicht:
Dies dünkt das erste Bedürfnis;
Doch mir verleidete sich die Lauge solchen Bads
Über alle Maßen.

Auf der Nornen Stuhl saß ich neun Tage,
Ward dann auf den Hengst gehoben.
Schauerlich schien die Sonne der Riesin
Aus Nacht und Nebel nieder.

Innen und außen wähnt ich alle sieben
Unterwelten zu durchwandern:
Auf und nieder sucht ich ängstlich den Weg,
Der leidlicher zu wandern wäre.

Nun ist zu sagen, was ich zuerst ersah,
Als ich zu den Qualorten kam:
Versengte Vögel, die Seelen waren,
Flogen wie Fliegen umher.

Von Westen drangen die Drachen des Wahns
Und bedeckten die glühenden Gassen.
Sie schlugen die Schwingen als sollte der Himmel
Bersten und die Erde.

Den Sonnenhirsch sah ich von Süden kommen
Von zwein am Zaum geleitet;
Auf dem Felde standen seine Füße,
Die Hörner hob er zum Himmel.

Von Norden ritten der Nüchternheit Söhne;
Ihrer sieben sah ich.
Volle Hörner hoben sie des herrlichen Mets
Aus des guten Gottes Brunnen.

Der Wind schwieg, die Wasser stockten:
Da hört ich kläglichen Klang.
Aus allen Kräften eifrige Weiber
Mahlten den Müll zum Mahl.

Triefende Steine sah ich die traurigen Weiber
Übel handhaben;
Blutige Herzen hingen von ihren Brüsten
Zu langem Leide nieder.

Viel Männer sah ich matt von Wunden
Auf den glühenden Gassen.
Ihr Angesicht dauchte mich immerdar
Rot von rauchendem Blut.

Viele sah ich der Erde befohlen
Ohne das letzte Geleit;
Heidnische Sterne umstanden ihr Haupt
Von Todesstäben getroffen.

Manche sah ich da, die der Mißgunst sich
Um anderer Glück ergeben,
Blutge Runen standen auf ihrer Brust
Vermerkt des meinethalb.

Manchen sah ich da, der weglos mußte
In der Öde traurig irren.
Der Lohn wird dem, der dieser Welt
Eitelkeit sich äffen läßt.

Männer sah ich da, die manches Stück
Von andrer Gut sich angeeignet;
In Scharen gingen sie zu Schatzliebs Burg
Und schleppten Bürden von Blei.

Männer sah ich da, die manchen hatten
Entleibt dem Gut zuliebe;
Die Brust durchbohrten den Bösewichtern
Grimme Giftdrachen.

Männer sah ich da, die es missen wollten,
Die heiligen Tage zu halten;
Ihre Hände waren an heiße Steine
Notfest genagelt.

Männer sah ich da, die mehr als billig
Der Hochmut höhnte.
Ihr Gewand war wunderbar
Übergossen mit Blut.

Männer sah ich da, die manch Wort hatten
Auf andre Leute gelogen:
Ihren Häuptern hackten die Höllenraben
Eifrig die Augen aus.

Alle Schrecken mag einer nicht wissen,
Die die Höllenkinder quälen.
Süße Sünden werden schwer gebüßt;
Hochmut kommt vor dem Fall.

Männer sah ich da, die manchen Schatz
Gott zuliebe gegeben:
Himmlische Kerzen über ihren Häuptern
Brannten lichterloh.

Männer sah ich da, die großmütig
Den Armen geholfen hatten:
Heilige Bücher lasen die Himmlischen
Über ihren Häuptern.

Männer sah ich da, die sich gemartert
Hatten viel mit Fasten.
Ihnen neigten die Engel Gottes:
Das ist süße Seligkeit.

Männer sah ich da, die ihrer Mutter
Das Mahl zum Mund geführt.
In Himmelsstrahlen standen ihnen
Die Betten gebreitet.

Himmlische Mädchen wuschen ihnen
Die Seele rein von Sünden,
Die freiwillig mit keuschem Fasten
Sich manchen Tag gemartert.

Himmlische Wagen sah ich zum Himmel fahren
Empor die göttlichen Gassen.
Männer lenkten sie, die unter Mörderhand
Ledig sanken aller Schuld.

Allmächtiger Vater, gleichmächtiger Sohn,
Heiliger Geist des Himmels,
Dich bitt ich, nimm die du erschaffen hast
Uns aus dem Elend alle.

Beugwör und Listwör sitzen vor des Hirten Tor
Auf dem Orgelstuhl,
Flüssiges Eisen entfließt ihren Nasen;
So weckten sie Haß und Wut.

Frigg, Odins Frau, fährt auf der Erde Schiff
Zu der Wollust Wonne,
Ihre Segel senkt sie spät,
Die an harten Tauen hangen.

Erbe, dein Vater allein verhalf dir
Mit Solkatlis Söhnen
Zu des Hirschen Horn, das aus dem Hügel nahm
Der weise Wigdwalin.

Das sind die Runen, die da ritzten
Niörds Töchter neun,
Radwör die älteste und Kreppwör die jüngste,
Mit ihrer Schwestern sieben.

Welche Gewalttaten wirkten nicht
Swafund Swaflogi!
Blut weckten sie, Wunden sogen sie
Tödliche, bitterböse.

Dieses Lied, das ich dich lehrte,
Sollst du vor dem Volke singen:
Das Sonnenlied wird selten wohl
Den Leuten zu lügen scheinen.

Hier laß uns scheiden; am schönen Tag
Finden wir uns wieder.
Gebe Gott den Begrabnen Ruhe
Und verleihe den Lebenden Frieden.

Tröstliche Lehre ward dir im Traum gesungen
Und Wahrheit ward dir enthüllt.
Von allen Lebenden war niemand so gelehrt,
Daß er das Sonnenlied singen hörte.

Unser Dank gilt Dungeon Keeper für den zugesanden Text.