Walhalla – Mythologie der alten Deutschen

Walhalla – Mythologie der alten Deutschen

von A. Winter, Langensalza 1866

 

Zu der Zeit, als an den Ufern des Jordans das Licht zu dämmern begann, welches bald den ganzen Erdkreis erleuchten sollte, deckte die Länder, in denen später das Christenthum seine schönsten Blüten entfaltete, noch die trübe Nacht des Heidenthums. Wir denken an die Länder des nordwestlichen Europas, damals von kräftigen, naturwüchsigen, biedern Volksstämmen bewohnt, die, so verschiedene Namen sie auch führten, doch durch Sitten, Religion und Charakter zu einem großen Brudervolke vereinigt waren. Rom, dem schon frühe geweissagt war, es werde 600 Jahre steigen und 600 Jahre sinken, hatte bereits seinen Glanz überschritten. Die Schwäche seiner Kaiser und die zunehmende Sittenlosigkeit und Verweichlichung seines Volks führte das große Reich allmählich seinem Untergange entgegen. Durch Feste, die mancherlei Zügellosigkeiten und Ausschweifungen mit sich brachten, – man erinnere sich nur der Saturnalien und Bachanalien, – verehre das römische Volk seine Götter; wo hingegen bei den Griechen an die Stelle des alten kindlichen Götterglaubens, dem das ganze Volk sich ergeben hatte, philosophische Secten getreten waren, von denen eine Unglauben und Sinnesgenuß, eine andere Verachtung aller irdischen Freuden und Schmerzen predigte. Leider ist uns von der Geschichte und Mythologie der nordischen Völker nur das bekannt, was die Römer, die mehrfach mit ihnen in Berührung kamen, aufgezeichnet haben, oder was aus der dunklen Schrift eines Runensteines entziffert worden ist, oder was uns in den wenigen Volksliedern aus der vorchristlichen Zeit aufbewahrt wurde. Die Schreibkunst war ein ausschließliches Besitzthum der Priester. Man schrieb vermittelst gradliniger Buchstaben, Runen, auf Steine, Baumrinde und Thierfelle. Doch haben auch die Priester wenig geschrieben, da sie die Lehre der Religion, in kurze Sprüche gefaßt, mehr dem Gedächtnisse ihrer Zöglinge einzuprägen suchten. Die Schlacht- und Heldengesänge, von den Karl der Große eine Sammlung veranstaltete, wurden später durch die christlichen Priester theils vernichtet, theils gänzlich umgestaltet, damit jede Erinnerung an die frühere Zeit bei den kommenden Geschlechtern getilgt werde. Tacitus erzählt, daß die Germanen in damals schon alten Liedern ihren Gott Tuisko gepriesen und die Thaten Armins, des Retters der deutschen Freiheit, besungen hätten. – Genauere Nachrichten als von den heidnischen Bewohnern Deutschlands nach seinen jetzigen Grenzen hat man von ihren Brüdern, den Skandinaviern. Ihre Götter- und Heldengesänge sind uns in zwei Büchern, der ältern und der jüngern Edda, erhalten, von denen das erste 1643 von dem Bischof Brynjulf-Svendsen in dem äußersten Winkel des Nordens, auf der Insel Island, wieder aufgefunden, das zweite schon im 13ten Jahrhundert zusammengetragen wurde. Da jene Völker auch zu dem Stamme der Germanen gehörten, so ist ihre Religion der Hauptsache nach übereinstimmend mit der unserer Vorfahren. Wie die Mythen der Griechen und anderer Völker, so gingen auch die Deutschen theils aus der Naturanschauung hervor, theils aus historischen Überlieferungen, theils aus der dunklen Ahnung von dem Werden aller Dinge und ihrem Ende, von den überall waltenden unsichtbaren Kräften, von einem Dasein nach dem Tode u.s.w.

„Leben und Fruchtbarkeit, Tod und Verödung, Licht und Finsterniß sind die großen Gegensätze, welche die Empfindung bewegen und in dem Glauben an den Quell, aus dem sie sich fließen, mächtig bestimmen. Leben, Segen und Fruchtbarkeit glaubt der Mensch in der Macht der unsichtbaren Gottheit, fleht darum und sucht sich die Gnade derselben zu erwerben. Tod, Unsegen und herbe Geschicke schreibt er der feindlich gesinnten Gottheit zu, und fleht um ihr Erbarmen, und bestrebt sich, durch wirksam geglaubte Mittel die feindliche Gesinnung zu beschwichtigen.“ (K. Schwenk)

„Elementen, Naturerscheinungen und Gestirnen lege ich grossen Einfluss auf mythologische Vorstellung bei, lange keinen solchen, das alle und jede aus ihrer grundlage abgeleitet werden dürften, da ausser den physischen auch noch sittliche und andere menschliche motive obwalten und erst in der durchdringung aller zusammen die götter des heidenthums entsprungen scheinen.“ (J. Grimm)

Freilich finden wir in den Mythen manche Mehrdeutigkeiten und Widersprüche, doch herrschen fast bei allen Mythologien dieselben Grundgedanken, in allen treibt die Phantasie ihr kühnes Spiel.

Die Götter der alten Deutschen werden auch Asen (sing. As = Held) genannt, welches Wort später zu der Behauptung Anlaß gab, dieselben seien von Asien herüber gekommen und Troja ihre Wohnung gewesen. Der nordische Olymp, der Wohnsitz der Asen, ist Asgardr (Asgard), in der Unterwelt gelegen, aus der täglich der Sonnengott Odin emporsteigt und westlich wieder hinabsinkt. Auf einem weiten Platze, Gladsheim, sind zwölf Stühle aufgerichtet, über welchen der Sitz Odins, der dreizehnte Stuhl, hervorragt. Gladsheim (Freudenheim) mit der goldglänzenden Walhalla (Valhöll) ist der Ort, wo jener Gott täglich die Hälfte der waffenerschlagenen Männer kürt (erwählt), da die andere Hälfte die Göttin Freya erhält, die in Folkwangr wohnt. Odins Haus ist mit Schilden gedeckt und seine Decke aus Lanzen getäfelt. Harnische liegen auf den Bänken; vor der Thür hängt ein Wolf und über derselben schwebt ein Adler. Die Wohnung Thors heißt Thrudheim, die, da jener der Gott des Donners ist, am Himmelsgewölbe gedacht werden muß. In Breidablick, dem weiterhin glänzenden, wohnt der freundliche Baldr. Ein grüner Hain, in dem die Götter nach Mahl und Kampf sich ergehen, umgibt die Wohnungen der Asen.

Der erhabendste der Asen ist

Odin

(Wodan, Wuotan, Odhin). Er war nicht nur der Lenker der Sonne, sondern auch der Gott des Krieges, welcher die Kämpfer zum Tode wählte, der Todtengott, welcher die Gefallenen in Walhalla empfing, und der Beschützer der Schiffahrt und des Wassers. Als höchster Gott, Allvater, erscheint er an der Spitze der zwölf Asen. Das Wort Wodan heißt laufend oder bewegend, deßhalb wird er auch als laufender Gott gedacht und die Römer stellten ihn unpassend den Hermes der Griechen, den Götterboten, gleich. Er verfolgt, sagt die Mythe, mit den Sonnenstrahlen die Finsterniß und fährt jede Nacht in einem Schiffe über das Meer der Unterwelt. Bei dem Mahle in Valhöll ißt er nicht von dem geschlachteten Eber, der Waffenherrliche lebt nur vom Wein, den ihm zwei Jungfrauen, Rista und Mista, in goldenen Pokalen reichen. Zwei Raben, Hunin und Munin, die täglich über die Erde hinfliegen, sitzen auf seiner Schulter und erzählen ihm die erfahrenen Neuigkeiten. Zwei Wölfe sind seine Hunde. Im Kampfe gebraucht er den nie fehlenden Speer. Wodan hatte ein Roß, Sleipnir, von aschgrauer Farbe und mit acht Füßen, auf welchem er einst in die Unterwelt, zu dem Grabe einer Weissagerin ritt und dort, nachdem er Todtenlieder gesungen und Runenstäbe hingelegt hatte, Aufschlüsse über die Zukunft erhielt. Die jüngere Edda sagt von Odin: „Er hat Himmel und Erde und Luft, und was sie enthalten, geschaffen. Das größte aber ist, daß er den Menschen geschaffen hat und ihm eine Seele gegeben, die immer leben wird und nie vergehen, wenn auch der Leib zu Erde verweset oder zu Asche verbrannt wird.“ Auf einer Orkadeninsel ist ein schwarzer Odinsstein mit einem Loche, in welches die abergläubischen Bewohner bei feierlichen Gelübden ihre Hände stecken; man nennt das Odinsversprechen. Die Insel Helgoland hat wahrscheinlich von Odin, der auch Helgi (der Heilige) genannt wurde, den Namen erhalten. Das Sternbild des großen Bären hieß früher Wodanswagen und die Milchstraße Wodansstraße. Im Rathaus – Archiv von Goslar findet sich noch eine Anrufung Wodans zum Schutze gegen den mächtigen Kaiser Karl in altdeutscher Sprache, welche übersetzt so lautet: „Heiliger großer Wodan, hilf uns und unserm Fahnherrn Wittekind, auch den Unterfeldherrn gegen den abscheulichen Karl, den Todtschläger. Ich gebe dir auch einen Auerochsen und zwei Schafe und den Raub. Ich schlachte dir alle Gefangenen auf deinem heiligen Harzberge.“ Nach alten Chroniken und Sagen soll Odin ein König gewesen sein, der im grauen Alterthum vom Kaukasus herüber kam, im nördlichen Europa ein Reich gründete und mit Kraft und Weisheit regierte.

Die Asinnen Freya und Frigg

wurden ursprünglich wohl nur als eine Person gedacht, doch bedeutet Freya Frau oder Herrin, dagegen Frigg die Liebe. Später fand eine gänzliche Trennung dieser beiden mythologischen Personen statt. Freya war die Lebensmutter, die Erde, wie Rhea der Griechen. Sie fährt auf einem Wagen, den Katzen ziehen; in die Schlacht aber mit einem goldborstigen Eber. Der winterliche Reifriese hatte dem Donnerer Thor seinen Gewitterhammer entwandt und wollte ihn nur unter der Bedingung zurück geben, daß er die Freya zur Gemahlin bekäme. Freya aber haßte den Riesen und Thor überlistete denselben, entriß ihm den Hammer und erschlug ihn. Da war die Göttin vor seinen Verfolgungen sicher. Diese Mythe stellt uns den Gegensatz der Jahreszeiten dar. Wenn der Winter entweicht und Gewitter die Luft durchziehen, so grünt und blüht von Neuem die Erde. Der Blumenschmuck der Fluren wird mit dem glänzenden Halsband der Naturmutter bezeichnet. Als Herrin der Unterwelt und Todtengöttin erhielt Freya die Hälfte der gefallenen Krieger und hatte die Kraft zu zaubern. Außerdem erzählt uns die Mythologie, daß sie die Geliebte des Odin gewesen sei und auch mit anderen Asen und Zwergen fortwährend Liebesverhältnisse gehabt habe, was die dauernde Fortzeugung in der Natur sinnbildlich darstellt. Die Erde, die Alles nährt und hervorbringt und alles Vergehende wieder in ihren Schooß aufnimmt, wurde von den Germanen unter mehreren Namen als Göttin verehrt, und besonders in sofern sie bebaut war und den Menschen Wohnplätze darbot, Jödh (Herka, Hertha) genannt.

Frigg

war die Göttin der Liebe und Odins Gemahlin. Ihre Dienerin ist Fulla (die Fülle). In Schweden nannte man das Sternbild des Orion Friggenrock, d.h. Rocken der Frigg. Das sogenannte Knabenkraut war ihr geheiligt, weil man daraus einen Saft gewann, der Liebe erweckte. – Eine andere Geliebte Wodans war Rindr, die im Westen den Bali gebar.

Thor

(Donar), der mächtige Beherrscher des Donners, hatte am Himmelsgewölbe seine Wohnung und fuhr auf den Wolken in einem von zwei Böcken gezogenen Wagen, die Hände mit eisernen Handschuhen bekleidet und einen Gürtel um den Leib gebunden. Seine Mutter war die Erde. In Upsal stand ein Tempel mit dem Bilde Thors. Er hielt ein Scepter in der Hand gleich dem olympischen Jupiter. Die Gemahlin des Donnerers war Sif (Freundin), welcher der boshafte Loki die schönen Haare abschnitt, aber von dem zürnenden Gemahl bedroht, durch seine Zwerge einen neuen Haarschmuck verfertigen ließ. Man hat sie abgebildet gefunden mit blumenbekränztem Haar, einen goldenen Apfel in der einen, eine Traube in der anderen Hand. Einst kämpfte Thor mit dem Riesen Hrungnir. Unter Donnern und Blitzen nahete der Gott und schleuderte den gewaltigen Hammer nach dem Haupte des Gegners. Dieser aber warf ihm gleichzeitig einen Schleifstein an den Kopf, daß ein Stück desselben im Schädel stecken blieb. Zu einem Festgelag holte Thor einen Kessel herbei von 1 Raste (Meile) Tiefe, in dem man einen Trank für die Gäste brauen wollte. Mit dem Riesen Ymir fuhr er in einem Schiffe auf das Meer und kämpfte gegen die furchtbare Midgardsschlange. So verrichtete der starke Thor Thaten, die an die Arbeiten des Herkules erinnern. Den Hammer des Donnerers schmiedeten die Zwerge im Innern der Erde. Bei den heidnischen Völkern Skandinaviens wurde dieses Geräth fast ebenso heilig gehalten, als bei den Christen das Kreuz. Auf ihren Grabsteinen fand man häufig einen doppelten Hammer abgebildet. In den Tempeln der Isländer und Lappländer hingen hölzerne und eherne Hämmer. Mit denselben wurden Ehen eingesegnet. Die eckigen Steine, welche man für Thors Donnerkeile hielt, haben zu vielfachem Aberglauben Anlaß gegeben, ebenso der Sperberbaum, welcher dem Donnerer geweiht war. An ihn als Herd- und Feuergott erinnert auch der Gebrauch, daß man dem Ofen das beichtet, was man keinem Menschen verraten darf.

Tyr

(Ziu, Saxnot) war auch ein Gott des Himmels und zugleich der eigentliche Kriegführer. Er hatte nur eine Hand, da ihm der Wolf Fenrir, der den Asen gefährlich zu werden drohte, die andere (bis an das darnach genannte Wolfsgelenk) abbiß. Tyrs Vater soll der Riese Hymir gewesen sein, und seine Großmutter 900 Köpfe gehabt haben.

Freyr

(Fro), der Sohn des Njördhr und einer Riesin, sah von seinem erhabenen Sitze die Gerda, die Tochter eines Riesen, und sandte seinen Diener Skirnir hin, um dieselbe zu werben. Dieser ritt, mit einem Schwerte bewaffnet, durch das Feuer, das die Wohnung der Jungfrau umgab, und an den wilden Hunden vorbei, die an dem Zaune festgebunden waren. Aber Gerda verschmähte den Antrag des Skirnir trotz des Ringes und der goldenen Äpfel, die er ihr als Geschenk darbot. Da drohte der Abgesandte mit dem Zorne der Asen und schrecklichen Zaubermitteln, und Gerda reichte ihm Meth dar als Zeichen ihrer Einwilligung. Nach neun Tagen traf sie mit Freyr in einem Haine zusammen und wurde seine Gemahlin. Freyr war der Erreger der Fruchtbarkeit, der Beschützer der Schifffahrt und verursachte einst einen Sturm, in dem das Schiff eines Christenpredigers unterging. Als Gott der Liebe heißt er Frigg. – Eine andere Mythe erzählt, daß Freyr ein mächtiger König von Schweden gewesen sei, den man nach seinem Tode, von seinen Unterthanen tief betrauert, in einem prächtigen Grabhügel beisetzte und ihm noch drei Jahre lang die Abgaben durch die drei Fenster des Hügels in Gold-, Silber- und Kupfer-Münzen entrichtete. Später verehrte man sein hölzernes Bild. Der Stier war ihm heilig.

Ein listiger, boshafter Gott, der sowohl die Asen als die Menschen neckte und quälte, war

Loki.

Er bewohnte auch die Unterwelt, das Todtenreich, und zeugte mit einer Riesin drei Kinder: den furchtbaren Wolf Fenrir, die Midgardschlange, die, von Odin ins Meer geworfen, so sehr wuchs, daß sie alle Länder der Erde umzingelte, und die Hel. Diese, halb blau, halb schwarz, und von dem Gehirn und Mark der Menschen sich nährend, wurde in die tiefste Behausung der Unterwelt gewiesen. Hunger, Krankheit und andere Übel sind in ihrer Nähe. Ihre Wohnung hieß später Hölle. Der Vater des Loki, der Riese Farbauti, führte die Gestorbenen über das Wasser der Unterwelt.

Durch Schönheit und Güte hoch erhaben und geliebt von den übrigen Asen war

Baldr,

dessen Gemahlin Nanna hieß. Als dieser einst von Lebensgefahr träumte, mußten alle Dinger, alle Thiere, Gewächse, Elemente, Krankheiten etc. schwören, den Baldr nicht zu verletzen. Bei einem Feste nun warfen die Götter zur Belustigung mit Steinen nach dem Unverletzlichen und schlugen ihn mit ihren Schwertern. Der heimtückische Loki aber hatte erfahren, daß die Mistel nicht den Eid geschworen. Er holte einen Mistelzweig und gab denselben dem blinden Hödr in die Hand, der ihn so heftig nach dem Baldr warf, daß dieser entseelt zur Erde stürzte. Alle Götter erschracken und trauerten und Loki floh vor dem Zorne Odins in eine Wildnis. Die Leiche legte man auf ein Schiff und verbrannte sie. Auch die Gemahlin Nanna, die sich zu Tode gegrämt hatte, und Baldr’s Roß übergab man den Flammen. Loki war in ein Wasser gesprungen und hatte sich in einen Lachs verwandelt, wurde aber von den entzürnten Asen mit einem Netze gefangen. Diese banden ihn in einer Höhle fest und träufelten ihm Gift ins Gesicht, wodurch sein Körper in schmerzhafte Zuckungen gerieth, so daß die ganze Erde zu beben anfing. Den Hödr tödtete Bali, der Sohn Odins, der in Weidengebüschen und dürrem Grase wohnte. Der Mistelzweig wurde von den alten Galliern sehr heilig gehalten und als Heilmittel gegen alle Gifte gebraucht. Baldr besaß einen goldenen Ring, von dem in jeder neunten Nacht acht gleich schwere Ringe träufelten. Man zündete diesem Gotte Feuer an, aus denen später die Johannis-Feuer entstanden sein sollen.

An der Brücke, die in die Unterwelt führt (Bifröst), wachte

Heimdallr.

Er hatte ein Schwert und ein Horn, dessen Ton alle Welten durchdrang. Das Gras auf der Erde und die Wolle auf den Schafen hörte er wachsen. Sein Roß heißt Gulltoppr (Goldzopf). In manchen Mythen wird auch der Regenbogen als Brücke bezeichnet, welche den Himmel mit der Erde verbindet und auf der ein Feuer brennt (die rothe Farbe des Bogens), damit die Riesen nicht den Himmel ersteigen.

Als Gott der Jagd, als trefflicher Bogenschütze und Stelzenläufer wird

Ulle

genannt. Er war sehr angesehen unter den Asen und hatte einen Ring, bei dem man heilige Eide schwur.

Weisheit und Erkenntnis besaß

Mimir,

der an der Esche Yggdrasil wohnte, unter deren Wurzeln die Weisheitsquelle, Mimirbrunnen, hervorsprudelte. Täglich trank er von dem begeisternden Wasser und konnte deßhalb Göttern und Menschen weissagen.

Gott der Dichtung und Beredsamkeit ist

Bragi.

Seine Gemahlin, Iduna, hatte auch die Gabe der Weissagung und saß, in einer Wolfshülle eingeschlossen, trauernd in der Unterwelt. Sie bewahrte in einer Büchse die Aepfel auf, von denen die Götter aßen, wenn sie alt wurden, und sich dadurch wieder verjüngten.

Gefion,

eine unvermählte Jungfrau, ist die Göttin der Mädchen, besonders derer, die als Jungfrauen sterben. Sie soll von einem König aus Schweden so viel Land zum Geschenk bekommen haben, als sie mit vier Ochsen während eines Tages und einer Nacht umpflügen konnte. Die wilden Stiere rissen ein großes Stück Land los und zogen dasselbe westwärts ins Meer. Daraus entstand die Insel Seeland.

Huoß war die Göttin der Schönheit, War die Beschützerin ehelicher Treue, und Gua die Botin der Götterkönigin.

Außer diesen höhern Gottheiten hat die deutsche Mythologie, reichlicher noch als die griechische, eine Menge untergeordneter Wesen, die bald gut, bald böse erscheinen und meistens die in der Natur waltenden Kräfte personificiren. Dahin gehören die Alfen (Elfen), von denen einige Lichtalfen, andere Dunkelalfen genannte werden. Sie wohnen in Alfheimr und hatten einen König und eine Königin. (Erlkönig = Elfenkönig in der Goethe’schen Ballade.) Diese Elfen schweiften nachts in Schaaren umher und tanzten auf dem Rasen. In den Ringeln, die man häufig auf dem Grase sieht, glaubte man ihre Spuren zu erblicken. – Zwerge wohnten im Innern der Berge. Ihnen gehörten die Metalle und kostbaren Steine, aus denen sie die kunstvollsten Arbeiten schmiedeten. Ivaldr ist ihr Vater. Um einen verborgenen Schatz zu heben, opferte der spätere Aberglaube an der Stelle, wo derselbe liegen sollte, einen schwarzen Bock oder ein schwarzes Huhn. Die Isländer nennen das Echo Dwergmaal (Zwergsprache). – Wanen waren sehr weise Geister. – Die feindlichen Gewalten der Unterwelt, welche der bewohnten Erde allabendlich das Licht und alljährlich den Sommer raubten, stellte man als Riesen dar. Solche waren die Reifriesen (Hrimthursen), die den Winter brachten. Der Riese Hrungnir hatte einen steinernen Kopf und ein steinernes Herz; eine Riesin, die Mutter des Hymir, 900 Köpfe. Ymir und Beli waren wegen ihrer lauten Stimme berüchtigt. Den Riesen Thiassi erschlug Thor und warf seine Augen an den Himmel, wo sie fortan als Sterne glänzten. Am äußersten Norden saß der Riese Hrefvelgr, der durch das Wehen seiner Flügel den Wind und die Stürme verursachte, im brennenden Süden Surtr, mit dem feurigen Schwerte die Grenzen von Muspelheim bewachend. – Andere weibliche Unterweltsgeister, die man durch Opfer verehrte, waren die Disen. – Oefters erscheinen Jungfrauen in Gestalt eines Schwanes, und wer sich dieses Thieres bemächtigt, der hat die Jungfrau in seiner Gewalt; das sind die Schwanjungfrauen. – In dunkeln Nächten ritten häufig die Tröllweiber umher, Gestalten aus dem Todtenreiche, die auf einem Wolfe saßen und Schlangen statt der Zügel in den Händen hielten. Der Wolf war bei den Alten das Sinnbild des Verschlingens, des Todes, und selbst die Sonnen- und Mondfinsternisse sollten daher rühren, daß ein solches Thier diese Himmelskörper zu verschlingen suchte. – Wichte, Wichtelmännchen und Holden sind ebenfalls gute und böse Geister.

Aber nicht allein bei den Gegenwärtigen, bei dem, was sich täglich und jährlich den Sinnen darbot, blieb der Gedanke stehen, er flog auch zurück in die dunkle Vergangenheit und vorwärts in die noch dunklere Zukunft und suchte das Werden aller Dinge und ihr Ende zu erklären. Deshalb finden wir auch in der nordischen Mythologie Erzählungen von der Erschaffung der Welt und ihrem dereinstigen Ende. Anfangs, sagt die Mythe, war Nichts da, kein Sand, kein Meer, keine Erde, kein Himmel, sondern nur ein offener Raum, Ginnungagap. Da entstand Niflheim,d.i. Nebelheim, in dessen Mitte ein Brunnen war, Hvergelmir, aus dem mehre Ströme sich ergossen. Im Süden darauf bildete sich das brennende, leuchtende Muspelheim. Als die Eismassen aus dem kalten Niflheim und der warme Hauch von Muspelheim zusammen kamen, rannen Tropfen nieder und aus diesen Tropfen entstand der Riese Ymir. Er wurde der Vater der Hrimthursen, der gewaltigen Reif- oder Winter-Riesen. Ferner entstand aus dem tropfenden Reif eine Kuh, Audhumbla, aus deren Euter vier Milchströme flossen, die den Ymir nähren sollten. Die Kuh nährte sich dadurch, daß sie an einem salzigen Steine leckte. Da kamen am ersten Tage Menschenhaare aus dem Steine, am zweiten ein Haupt, am dritten der ganze Mensch. Dieser hieß Buri (Geborner), war groß von Körper und stark an Kraft und zeugte einen Sohn, Börr (mit wem, weiß man nicht). Börr heirathete Besla, die Tochter eines Riesen, die ihm drei Söhne gebar: Odin, Wili und We. Die Söhne Börrs tödteten nun den Riesen Ymir und schufen aus seinem Körper die Welt. Wir begegnen hier einem Bilde, so kühn, daß ihm das des Herkules, der die Felsen von Gibraltar aufrichtete und das der Titanen, die Berge aufeinander thürmten, um den Himmel zu ersteigen, kaum an die Seite gestellt werden darf. Aus Ymirs Wunden floß so viel Blut, daß darin alle Riesen mit Ausnahme eines einzigen ertranken. Von seinem Fleische machten die drei Brüder die Erde, von den Knochen die Berge, von den Zähnen die Felsen und Klippen. Aus seinem Blute wurden das Meer und die Gewässer, aus seinem Schädel der Himmel, den vier Zwerge trugen: Austri, Westri, Nordhri, Sudhri (Ost, West, Nord, Süd). Feuerfunken, die von Muspelheim herüberflogen, setzten sich an das Himmelsgewölbe, das waren die Sterne, von denen einige bestimmte Stelle behielten, andere auf bestimmten Bahnen sich bewegen konnten. Das Hirn warfen sie in die Höhe und daraus bildeten sich Wolken. Aus seinen Augenbrauen bauten sie eine Schutzmauer gegen die am Meere wohnenden Riesen. Der von diesem Walle umschlossene Raum hieß Midgardr (Mittestadt) und wurde zum Wohnort der Menschen bestimmt. Als nun Börrs Söhne einst am Meere wandelten, fanden sie zwei Baumstämme, aus denen sie die Menschen schufen, den Mann Ask und die Frau Embla. Der erste gab diesen Geschöpfen Seele und Leben, der zweite Vernunft und Bewegung, der dritte Antlitz, Sprache und Sinne. (Nach Tacitus war Tuisko, der aus der Erde geborne Gott und sein Sohn Mann der Stammvater der Germanen.) Endlich wurde Asgardr gebaut mit seinen Wohnungen für die Asen und ihre Familien; Gladsheim, auswendig und innwendig von Golde gezimmert, und Wingolf, die Wohnung der Frauen. Aus der Unterwelt herauf wuchs die gewaltige Esche Yggdrasil, deren Aeste bis in den Himmel reichten und deren eine Wurzel bei den Asen, die andere bei den Riesen, die dritte in Niflheim war. Unter diesem Baume pflegten die Götter Gericht zu halten; auch floß hier die Weisheitsquelle des Mimir und der Born des Geschickes, Urid. Der Baum ist den Alten ein Sinnbild der Zeit, des Lebens; daher auch die Verehrung der Bäume bei den Germanen und andern Völkern. Der ungeheure Baum Yggdrasil stellt bildlich das ganze Weltleben dar.

Während wir bei den Griechen und Römern wohl Mythen über die Erschaffung der Welt und die allmälige Ausbildung der Erde, aber nicht über das Ende alles Gewordenen antreffen, erfand der ernstere Geist der nordischen Völker auch eine Erzählung von dem Weltende, der Götterdämmerung, Ragnarokr. Wenn das Ende der Welt naht, sagt die Mythologie, dann werden drei strenge Winter auf einander folgen, wo der Schnee von allen Himmelsgegenden niederfällt. Dann wird ein großer Kampf unter den Menschen entbrennen; der Bruder mordet den Bruder, der Sohn den Vater; Schwerter klingen und Schilde klirren; schwere Sünden und schwere Strafen kommen unter die Menschen. Ein großer Wolf verschlingt die Sonne, ein anderer den Mond. Die Sterne verlöschen. Wälder stürzen, Felsen spalten sich und das Meer tritt aus den Ufern. Der furchtbare Wolf Fenrir sperrt seinen Rachen auf, um die Erde zu verschlingen, und die schreckliche Midgardschlange bespritzt mit ihrem giftigen Hauche den Himmel und die Gewässer. Von Süden dann kommen Muspels Söhne, denen Feuer vorausgeht; auch Loki naht mit den Hrimthursen. Die Esche Yggdrasil zittert und die Brücke Bifröst bricht zusammen. Das Horn des Heimdallr ertönt gewaltig und ruft die Götter zur Versammlung. Diese rücken nun zum Kampfe hinaus mit Helm, Panzer und Lanze. Thor tödtet die Schlange, fällt aber nieder, von ihrem Gifte getroffen. Den Odin verschlingt der Wolf. Diesem reißt Widharr den Rachen auseinander, indem er sich mit dem aus lauter Stücken bestehenden Todtenschuh auf seinen Unterkiefer stemmt. Loki und Heimdallr vernichten sich gegenseitig. Der Riese Surtr gießt sein Feuer aus und die ganze Welt vergeht in Flammen. – Aber aus dem verwüsteten Weltall taucht eine neue Welt auf, schöner als die vorige, in welcher die übrig gebliebenen Götter wohnen werden.

Die Schicksale der Menschen lenken die Nornen, drei Jungfrauen, die Gutes und Böses über die Erdbewohner verhängen. Sie fliegen über Städte und Länder hin, das Menschengeschlecht erhaltend, und bestimmen schon dem Kinde in der Wiege sein Loos. Nach dem Tode, sagt die nordische Mythologie, kommen die Menschen in die Unterwelt. Ueber dem Schlachtfelde, wo die Helden mit einander kämpfen, schwben die Walkyrien, weiße Jungfrauen, welche die gefallenen Helden mit einem Kusse erwecken und nach Walhalla führen. Besonders geehrt werden die Einzelkämpfer, Einheriar. Sie sitzen an Odins Tafel, essen von dem Fleische des Ebers und trinken den Meth, der aus dem Euter der Ziege Heidrun fließt. Die aber eien ruhmlosen Todt sterben auf dem Krankenbette, kommen in die Wohnung der Hel. – Später wurden die Todten zu einem ganzen Volke gedichtet und Nibelungen genannt, die das Nibelungenland bewohnten. Eine Insel im atlantischen Ocean hieß die Todteninsel. Schiffer, welche am Ufer dieses Meeres wohnten, führten Nachts die Seelen der Gestorbenen dahin. Wenn es an ihren Thüren klopfte, gingen sie schweigend zum Strande und fanden dort Nachen bereit, die sie ins Meer ruderten. Sie fühlten das Gewicht der Eingestiegenen, hörten auch die Sprache derer, die sie am Ufer der Insel empfingen, sahen aber Niemand. Die Leichen angesehener Männer verbrannte man mit bestimmtem Holze; auch Pferd und Waffen des Gestorbenen wurden mit ins Feuer geworfen und ein Grabhügel von Rasen errichtet.

Die alten Deutschen verehrten ihre Götter in heiligen Hainen und auf Bergen. „Sie meinen,“ sagt Tacitus, „es sei nicht der Größe der Götter gemäß, sie innerhalb Wänden einzusperren, noch nach Menschengestalt zu bilden.“ Doch finden wir auch Nachrichten von Tempeln und Götterbildern, namentlich aus dem Norden. In den Hainen wurden weiße Rosse gehalten, von aller Arbeit unberührt, die bei großen Festen den heiligen Wagen mit dem Götterbilde zogen. Priester und König begleiteten sie dann und suchten aus ihrem Wiehern und Schnauben die Zukunft zu prophezeihen. Auch der Flug der Vögel wurde gedeutet. Priester und Priesterinnen waren von großem Einfluß und Ansehen. Sie zogen, heilige Zeichen tragend, dem Heer voran in die Schlacht, stürzten sich wüthend unter die Kämpfenden, schleppten die Gefangenen fort, schlachteten sie und weissagten aus ihrem Blute. Die Priesterinnen der Cimbern, erzählt Strabo, waren grauhaarig, weiß gekleidet, gingen baarfuß und trugen einen ehernen Gürtel und ein Schwert. Ihre Aussprüche waren entscheidend. So wich z.B. Ariovist einst dem Cäsar aus, weil die Frauen sagten, die Germanen würden vor dem Neumonde nicht siegen. – Thiere, die als religiöse Sinnbilder dienten, sind: Adler, Rabe, Wolf, Roß, Kuh, Schlange. Auf Runensteinen findet man häufig die Schlange abgebildet. – Auch Quellen und Bäume verehrte man. Bonifacius ließ die heilige Eiche der Hessen umhauen und Karl der Große die Irmensäule der Sachsen (wahrscheinlich auch ein Baumstamm) zerstören.

Reste aus der heidnischen Vorzeit haben sich zum Theil bis auf unsere Tage erhalten. „Der bekehrte christ verwarf und verabscheute die götter der heiden, in seinem herzen blieben aber noch vorstellungen und gewohnheiten haften, die ohne offenen bezug auf die alte lehre der neuen nicht unmittelbar zu widerstreben schienen.“ (J. Grimm) – Einige Namen erinnern noch an die alten Götternamen. So die Tagnamen: Dinstag an Tyr, Donnerstag an den Donnerer Thor, Freitag an Freya. Der Gudensberg in Hessen erhielt seinen Namen von Wodan, denn ehemals hieß er Wudensberg; der Donnersberg in der Pfalz von Thor. Das Wort Ostern kommt von Ostera, welches eine Göttin des Frühlings bezeichnet. Der in Niederdeutschland übliche Gebrauch, daß am ersten Ostertage auf den Höhen Feuer angezündet werden, rührt ebenfalls aus der Heidenzeit. In Oberdeutschland sind die Johannisfeuer gebräuchlich. An die Dankopfer für den Segen der Ernte erinnert die Martinsgans. Nach K. Schwenk soll auch das Liedchen: „Hänschen saß im Schornstein und flickte seine Schuh,“ heidnischen Ursprungs sein, indem Hänschen der in den Teufel verwandelte Vidharr ist, welcher mit den ausgesuchten Lederstücken seinen Todtenschuh flickt. – Von schrecklichen Folgen waren manche Ueberbleibsel des Heidenthums, die sich in dem Aberglauben des Volkes geltend machten. Mit bangem Grauen hörte man in dunklen Nächten die wilde Jagd durch die Luft ziehen, in Schweden Odins Jagd, in Norwegen Asenfahrt, in England Arthurs Jagd genannt, und wahrscheinlich von Seevögeln herrührend, die im Herbste nach Süden fliegen. Aehnlich ist der Zug der Frau Holle (Holde), die auch, wenn es schneien soll, ihr Bett schüttelt und oft als weiße Frau an Seen und Brunnen erblickt worden ist.

Die Beengung des Athems während des Schlafes bei manchen Menschen (Alp, Nachtmar) schrieb man einem bösen Geiste zu, der in Gestalt einer Katze sich auf die Brust des Schlafenden legte. – Mit einer Wünschelruthe suchte man in der Erde verborgene Schätze aufzuspüren. – Kobolde, Klopf- und Rumpelgeister setzten die Hausbewohner oft in Furcht und Schrecken. Und welches Unheil entstand nicht aus dem Glauben an Zauberei und Hexen! Wie viele schuldlose Menschen wurden nicht an verschiedenen Orten Deutschlands, namentlich im 16. Und 17. Jahrhundert, als Zauberer und Hexen verbrannt und mußten, nachdem man durch die Folter ihnen Geständnisse abgepreßt und durch das sogenannte Hexenbad ihre Schuld bewiesen hatte, ihr oft harmloses Leben einem traurigen Wahne opfern. Die in manchen Archiven erhaltenen Acten der Hexenprozesse und die noch hier und da aufbewahrten Folterwerkzeuge beweisen das hinlänglich. Die Zauberei, die nach der Meinung des Volkes höhere geheime Kräfte schädlich wirken ließ, wurde als unchristlich, als heidnisch und teuflisch angesehen und von den Handhabern christlicher Gerechtigkeit mit Feuer und Schwert verfolgt. Plötzliche Krankheitsfälle, Viehsterben u.s.w. schreib man dem Einflusse eines Zauberers zu und glaubte diesen gewöhnlich in einem Menschen gefunden zu haben, der sich durch irgend eine Sonderbarkeit von andern unterschied. Von den Hexen wähnte man, daß sie sich an gewissen Abenden versammelten und in einem Kessel ihre Zaubermittel bereiten, daß sie in bestimmten Nächten, auf Besen reitend, Fahrten nach einem Versammlungsorte anstellten und auf einem Berge oder unter einem Galgen ihre Tänze aufführten. Bekannt ist die Hexenfahrt nach dem Brocken in der Walpurgisnacht. – Einige Kräuter, Kuckuksblume, Kerbel u.s.w., wurden als Zauberkräuter bezeichnet. Beifuß und Johanniskraut schützten vor der Macht des Teufels und dem Einflusse der Hexen. Dem Zeichen des Kreuzes wichen diese aus und das Läuten der Glocken störte ihre Gesänge und Versammlungen. Noch jetzt gibt es Leute, die Krankheiten, Warzen etc. durch Besprechen vertreiben wollen, namentlich Fieberkranke durch einen Hollunderzweig heilen, den sie in die Erde pflanzen; oder Jemanden an einer Stelle festbannen mit der Zauberformel: „Hier stand so fest, als der Baum hält seine Aest, als der Nagel an der Wand, durch Jesum Marien Sohn; daß du weder schreitest noch reitest und kein Gewehr ergreifest. In des Höchsten Namen sollst du stehen!“ Das Blut unschuldiger Kinder soll den Aussatz, und das von Hingerichteten die fallende Sucht heilen. Das Erscheinen einer Eule und das Heulen eines Hundes soll einen Todesfall prophezeihen. Kommt ein Fremder in die Stube, sagt der Aberglaube, so soll er sich setzen, damit er den Kindern die Ruhe nicht nehme. Von 13 Personen am Tische muß bald eine sterben. Wem die Ohren klingen, der wird belogen. Störche und Schwalben bringen Glück ins Haus. Begegnet einem früh Morgens eine alte Frau, das bedeutet Unglück. Junge Menschen bedeuten Glück u.s.w. Hoffentlich werden durch den jetzigen Schulunterricht bald auch die letzten Reste des Aberglaubens getilgt.

Als die gewaltige Bewegung der Völkerwanderung aufgehört hatte, als christliche Sendboten Deutschland durchzogen und Kaiser Karl mit dem Schwerte das Bekehrungswerk vollendete, da schwand allmälig das offene Heidenthum. Und wo hätte der Same, den der Welterlöser ausstreute, einen fruchtbareren Boden finden können, als in dem tiefen Gemüthe der Germanen! Das älteste Schriftwerk unserer Sprache ist eine Uebersetzung der Evangelien von dem gothischen Bischof Ulphilas. Mit dem Christenthum wuchs auch die Bildung. Die heiligen Haine waren gesunken, die Götzenaltäre zerstört, und in den Städten und Dörfern erhoben sich Kirchen, in deren feierlichen Hallen ein mächtiges Halleluja ertönte.