Burg Rabenstein (Chemnitz/Sa.)
Der verwunschene Schatz in der Burg Rabenstein
Vor langen Jahren, als die Burgruine Rabenstein noch ein fester Rittersitz war, gehörte sie einmal einem Herrn von Carlowitz. Der war sehr klein und bucklig. Aber reich war er. Bis nach Böhmen hinein gab es kaum einen Reicheren. Eine große Anzahl Dörfer gehörte ihm, mit all ihren Feldern, Wiesen, Wäldern und Teichen. Doch bei alle seinem Reichtume fühlte er sich tief unglücklich. Denn alle Welt machte sich über seine Missgestalt lustig. Wohl hatte er in jungen Jahren reiten und fechten gelernt, aber seine Bewegungen warn ungeschickt und tölpisch geblieben, wie die eines Knaben. So oft auch die Ritter der Umgebung Turniere und sonstige Feste abhielten: er ging gar nicht mehr hin, denn immer hatte man für ihn nur beißenden Spott bereit. Er unterhielt keinerlei Beziehungen mehr zu seinen Standesgenossen. Au der Burg Rabenstein gab es keine glänzenden Ritterfeste. Der Burgherr lebte mürrisch und verdrossen ein einsames Dasein. Nur selten einmal sprach ein Rittersmann vor, der des Landes unkundig war. Aber kopfschüttelnd kehrte auch er sehr bald der ungastlichen Stätte den Rücken; denn das finstere verbissene Wesen des Besitzers fesselte niemanden. Und kam der Rabensteiner gar auf eine Burg in der Nachbarschaft, in der Absicht, um die Hand des Burgfräuleins anzuhalten und sie zur Schlossherrin von Rabenstein zu machen: wie höhnisch wurde er da heimgeschickt! –
Nicht einmal seine eigenen Knechte und Mägde achteten ihn. Sie ahmten seinen Gang und seine Wutausbrüche nach und missachteten seine Befehle, wo sie nur konnten. Selbst seine Verwandten gaben sich nicht besondere Mühe, ihm zu verbergen, dass sie eigentlich nur wegen seines Reichtums noch mit ihm Freundschaft hielten und seine Launen ertrugen.
Die Jahre vergingen. Sein Leben blieb liebeleer und einsam. Nur eine kindische Freude hatte der alternde Mann: Nachts, wenn der große Gutshof und auch die Burg in tiefer Ruhe lagen, da schlich er im Vollmondscheine oder bei dem matten Lichte einer Talgkerze in den Rittersaal. Wie viele frohe Feste hatten seine Vorfahren hier abgehalten! Verwundert schauten sie jetzt von den hohen Wänden herab, aus den Bilderrahmen heraus auf ihren entarteten Sprössling. Gespenstische Schatten huschten hin und her. Mit wachsbleichem Antlitz und furchtverzerrten Zügen schritt er der einen finsteren Ecke zu. Hier stand seine liebe Truhe. Mühsam öffnete er das alte Schloss, knarrend hob sich langsam der schwere Deckel, und vor ihm lag die einzige Freude seines zwecklosen Lebens, die blanken, glitzernden Goldstücke. Wie freute er sich, wenn er wieder ein paar neue Dukaten hineinlegen konnte. Hier saß er oft stundenlang, mit den knochigen Fingern in der glitzernden Masse wühlend.
So auch in einer Herbstnacht. Der Wind heult in den Erkern und Ecken und Nischen der Burg und in den hohen Bäumen ringsum. Der bedauernswerte Burgherr! Tagsüber muss er sich ärgern über seine Mitmenschen, und jetzt gönnen ihm die Geister der Nacht seine einzige Freude nicht. Das Knistern und Rascheln will heute gar nicht aufhören, bald ists vor, bald hinter ihm. Er dreht sich um. Da – das Blut will ihm in den Adern erstarren: vor ihm steht die Stammmutter des Geschlechts. Ernst und durchdringend, wie sonst von der hohen Wand herab, blickt sie ihn an. Mit hohler Grabesstimme ruft sie ihm zu: Mache dich bereit zum Sterben! In drei Tagen schlägt deine letzte Stunde!“ – Und die Vision ist verschwunden. Die Ahnfrau blickt aus ihrem Goldrahmen herab wie immer. Zu ihren Füßen kauert, am ganzen Leibe zitternd, der letzte Spross ihres Geschlechts.
Mühsam erhebt er sich. Langsam, zitternd schleppt er sich zu Bett, doch schlafen kann er nicht. Nach Art der Geizigen quält ihn der Gedanke an sein Geld. Sterben und den ganzen Reichtum denen hinterlassen, die ihn immer nur verachtet haben? Nie und nimmer! Die verhassten Verwandten solle nur die leere Truhe vorfinden! Noch ehe der Tag graut, hat er in dem unterirdischen Gange, der von der Burg wegführt, ein passendes Versteck gefunden. Die letzten Nächte, die er nach dem Ausspruche der Ahnfrau noch zu leben hat, benutzt er dazu, den ganzen glänzenden Inhalt seiner Truhe dort zu vergraben. Ein Bannspruch vollendet sein Werk: Hier liege, du liebes Gold, bis ein anderer Carlowitz Besitzer dieser Burg ist, der ausgewachsen ist wie ich. Nur der soll den reichen Schatz entdecken und heben.
Am dritten Tage aber fanden die Rabensteiner Burgmannen ihren Herrn tot neben der leeren Truhe liegen.