Schuhwerk des Orients

Schuhwerk des Orients

Bereits seit zehn Wochen darbe ich in einem arabischen Verließ vor den Toren Kairos, der stolzen Mutter aller Städte, wo mich die Kerkermeister Salah-ed-Dins festhalten.
Immernoch tobt im Heiligen Land Krieg, auch das christliche Königreich Ägypten ist in der Hand der Ungläubigen, wohin mich das Verhängnis führte, seit ich dem Ruf zum Kreuzzug ins Morgenland folgte. Viel ist seither geschehen, und ich hatte viel Gelegenheit, das Leben im Orient zu studieren, ja, ich möchte soweit gehen, mich selbst nach so langer Zeit schon fast als halben Araber zu bezeichnen. Die Muselmanen sind eine seltsame Mischung der verschiedensten Völkerschaften. Hier in Nordafrika trifft man auf blauäugige Berber, schwarzschöpfige Araber aus den weiten Wüsten der Ränder der Welt im Osten, dunkelhäutige Fellachen, die für die arabischen Herren die Frohndienste verrichten und zu Lebzeiten ihren Blick nicht über die Ackerfurchen erheben, Nubier so schwarz wie die Nacht mit schwellenden Lippen. Alle habe sie ihre Besonderheiten, doch alle hängen sie hartnäckigster Weise ihrem Glauben an, der sie Mohammed preisen lässt und sie zwingt, sich zu fünf Zeiten des Tages mit Wasser zu säubern, weswegen die alleinseligmachende Kirche ihnen den Kampf angesagt hat bis zu dem Tag, da die Heiligen Stätten der Christenheit befreit sein werden. Doch ich schweife ab, wollte ich über die Handwerkskunst der Sarazenen berichten, die es mir besonders angetan und die ihresgleichen in der Welt nicht findet.
Die Edlen unter ihnen schmücken sich mit Gold und Edelsteinen und tragen feinste Tuche, deren Güte und Herrlichkeit im Abendlande unbekannt sind. Auch vermögen sie sich vermittelst der aromatischsten Essenzen in einen derartigen Duft zu hüllen, dass einem der Verstand zu schwinden droht, so man sich ihnen nähert.
Die Schuhe werden von spitzen, arthaftig nach oben geringelten Schnäbeln geziert, was einen gleich an die Heimat erinnert, jedoch derart mit Stickereien von Gold übersät, dass einem schier die Augen vom Glanze tränen und man beschämt den Blick abwenden muß.
Selbst unser Hoher Kaiser kann von solcher Pracht nur träumen, möge ihn Gott noch lange erhalten.
Zum Zwecke der Illustration und Lehre habe ich umfangreiches Bildmaterial gesammelt, das hiermit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Vor Jahrtausenden, so wurde mir berichtet, wandelten die Könige auf Schuhwerk, wie es Abb. 1 wohl zeigt. Schon damals war es die Mode, einen royalen Treter mit einer extravaganten Spitze zu versehen und diese nach oben und hinten zu binden.
Die Sohle besteht aus zwei deckungsgleichen, miteinander vernähten Stücken, zwischen denen die Riemen befestigt werden, die dann durch die Zehen nach oben zum Spann verlaufen, wo sie auf einen breiteren Querriemen treffen, der über den Spann selbst verläuft und dem ganzen den Charakter eines ordinären Sappers gibt (Sapper ist der Name eines Filzpantoffels der Altvorderenzeit, heutigentags von fremdartiger Ware meist aus welschen Landen verdrängt) In vereinfachter Weise mag wohl Abb. 2 verdeutlichen, in welcher Manier die Fußbekleidung der alten Könige Ägyptens hergestellt war. Im  Detail sollte deutlich zu erkennen sein, wie Riemen durch einen Schnitt in der Obersohle in den Zwischenraum der beiden Sohlenteile abtauchen.
Ebenso erkennt der wohlwollende Betrachter geflissentlich, dass sich das System, mit dem der Fuß auf der Unterlage gehalten wurde, bis in die jetzige Zeit nur unwesentlich verändert hat. Das sollte einen in Staunen versetzen, haben die Gehhilfen aus Abb. 1 doch nach der Überlieferung bereits 4000 Jahre auf dem Leder – im wahrsten Sinne des Wortes ein biblisches Alter.
Doch weiter in der Geschichte.
Wenden wir den Blick ins hier und jetzt. Der einfache Mann in der Straße (das ist meist ein landflüchtiger Bauer, Zigeuner, Musikant oder Student, oder kann aus einem anderen guten Grund kein anständiges Leben führen wie etwa Schinder, Henker, Barbiere, Bader) läuft wie unsereins im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation anno 1423 barfuß durch die Weltgeschichte, er lebt ja auch im Jahre 1423, nur eben anno hidschriae, nicht domini. Aber wer wollte auf derlei Kleinigkeiten herumreiten. Diejenigen, so sich zum stolzen Stande der Handwerker zählen, bevorzugen, wenn sie es sich leisten können, Schuhwerk der Abb. 2 oder besser Abb. 4. Letztere zeigt ein Erzeugnis, das man Spitzpantoffel nennen möchte. Sehr schön ist im Detail der qualitätvoll ausgeführte Sohlenschnitt zu sehen, dessen Bedeutung und Herstellung früheren Aufsätzen bezüglich der Lederbearbeitung bzw. der Schuhmacherei aus meiner Feder zu entnehmen sind.
Interessant an diesem Modell ist das Vorhandensein einer vollständig ausgeprägten Kappe, die jedoch, um das Niedertreten durch nichtsnutzige Bauerntrampel vorwegzunehmen, gleich nach innen geschlagen wurde und dort an der Brandsohle befestigt wurde, wie Abb. 6 vorführt. Ja, ich sah sogar Ausführungen, bei denen die Brandsohle darübergenäht wurde.
Das Spitzenteil zeigt keine Naht entlang dem Spann. Auch ist es nicht übermäßig in die Länge gezogen, da dieses Schuhwerk rein praktischen Zwecken dient, die der harte Alltag im Leben der Handwerker und Kleinhändler vorgibt. So habe ich in Kairo auf meinen langen Streifzügen hier durch den Souq (Bazar) und das Islamische Viertel niemals derartige Schuhe aus anderem als grobem Leder gesehen, von groben Händen grob zusammengenäht. Sie sind für 2000 Piaster zu erwerben, wenn man den Arabern eine Freude macht und mit ihnen handelt. Mit gezogenem Schwert ist zwar günstiger Ware zu haben, aber zu solchen Mitteln greift ein ehrenvoller Krieger Gottes doch nur bei Belagerungen, Ausräucherungen, Brandschatzungen, spontanen Metzeleien an der Zivilbevölkerung, generell also nur im Notfalle, oder es dienlich erscheint.
Doch alle diese Abarten von Schustergut kann ein Mann von Rang nur mit Geringschätzigkeit dem Pöbel überlassen. Ihm sollten hochwertige Kostbarkeiten vorbehalten sein, wie man sie in Abb. 7 (links) und Abb. 8 (rechts) erblicken und bewundern kann.
Doch es ist wohl das Schicksal unserer Tage, dass sich die Gemeinen erheben und dazu aufschwingen, es den Edlen gleichtun zu wollen! Welch Elend und Sittenverfall kam seither über die Welt! Wenn Geburt und Blut nichts mehr zählt und die Bauern regieren! Und so mag es nicht verwundern, wenn in königlichen Kleidern ein entlaufener Leibeigener seine Herren vor sich hertreibt wie Vieh. Unheil, Unheil.
Doch zurück zu dem Objekte unseres Augenmerks: Den Schuhen aus Abb. 7 und 8. Es findet sich ein entscheidender Unterschied zu den vorangegangenen Abhandlungen. Die Ausbildung der Sohlennaht wie überhaupt der Sohle. Es ist deutlich zu erkennbar, dass dieser Schuh nicht Nässe und Schmutz trotzen muß oder generell eine annähernd normale Laufleistung zu gegenwärtigen hat. Die Sohle ist aus 2 mm dünnem, weichem Leder gefertigt, ebenso wie die Brandsohle, die deckungsgleich mit jener ausfällt ( Detail ). Es existiert kein Sohlenschnitt! Die Naht wurde senkrecht durch Brandsohle, Spitzen- und Kappenteil sowie Laufsohle geführt, so dass der Zwirn an der Unterseite des Schuhes blankliegt. Ein Zeichen dafür, dass der Träger die Fortbewegung zu Pferd oder Sänfte bevorzugt!
Der extrem feine Schnabel hat die Länge eines halben Fußes. Die Spitzen- und Kappenteile sind völlig bedeckt mit aufwendigen Stickereien, die in dem über das Oberleder gelegten roten Samt von derselben Größe eingearbeitet wurden. Entlang dem Maul des Schuhes verläuft ein hauchdünner Saum, der die Kanten von Samt und Oberleder verschließt.
Das Muster selbst zeigt strenge geometrische Quadrat-, Kreis- und Sterngebilde, wie sie sich in fast jeder Arbeit arabischer Herkunft offenbaren. Siehe hierzu Abb. 10 (links) und Abb. 11 (rechts).
Doch auch im Morgenland liegen derartige Kleinode nicht an jeder Straßenecke. Es gibt nur wenige Werkstätten, die diese Kunst in solcher Vollendung pflegen. Dementsprechend lassen sie es sich entlohnen. So denke denn immer an Deinen Geldbeutel, geduldiger Leser, wenn Du Deine gierigen Blicke auf Ziel lenkst, die außerhalb Deiner Möglichkeiten liegen und Dich ins Verderben stürzen können. Nicht selten endete solch Unterfangen im Wahnsinne… Genug aber nun der leeren Rede!
Ein Ritter, der nicht haut und sticht, ist auch kein richt’ger Ritter nicht, sagt deshalb schon eine alte Ritterregel.

Loke Klingsor