Die Fiebel vom Treppenhauer

Die Fiebel vom Treppenhauer

(eine nicht ganz nachgewiesene Geschichte)

 

Als noch niemand von dem Erzreichtum im Berg im Zschopautal wusste lebte dort ein Riesenvolk, das Volk der Riesenwinger. Der König der Riesenwinger hatte eine wundervolle, mutige Tochter, die sich jedoch nie wie die Tochter eines Königs, wie eine Prinzessin benahm. In dem Dorf um die große Königshalle des Riesenkönigs Turambar lebte der begabteste Schmied des ganzen Riesenlandes. Niemand vermochte das Metall des großen Volkes so gut zu biegen, zu hämmern, zu formen, dem Schatz der Erde solch wundervolle Form und Gestalt zu geben, wie er. Zudem war der Schmied noch sehr jung, wenn man das bei der enorm langen Lebensdauer der Riesen sagen kann, und sehr hübsch. Er war nicht so ungeschlacht wie die anderen Riesenschmiede, rotbraune Locken rahmten sein kantiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen üppig ein und aus den Augenhöhlen blitzten einen jeden zwei dunkle Amethyste an. Kurz gesagt: Turin war kein gewöhnlicher Riese. Das Schicksal wollte es, dass die Riesenprinzessin aus ihrem goldenen Käfig floh. Auch sie, Isidira, war außergewöhnlich schön. Ihre blonden glatten Haare reichten ihr bis zu den Kniekehlen und ihre Augen waren so blau wie der kleine Teich hinter der Königshalle, an dem sie so gern saß. Die Schergen ihres Vaters waren auf der Suche nach ihr und Isidira floh in das Dunkel von Turins Schmiede. Und der rechtmäßige Bewohner der umgebauten Scheune fand sie zusammengekauert auf dem Boden hinter seiner Holzkohle hocken und dachte, sie sei eine der Geächteten, die in letzter Zeit ihr Unwesen in dem Dorf trieben und scheuchte sie auf. „So was ärgerliches!“ fing Isidira an zu schimpfen, als sie unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde, weil Turin sie mit Kohlenstücken beschoss. „Kann man sich nicht mal in Ruhe vor seinem Vater verstecken!“ keifte sie weiter. „Was?“ Erschrocken stellte der Riesenschmied den Beschuss ein. „Ihr seid die Tochter des Riesenkönigs!? Ihr seid es, die gesucht wird?!“ „Schmeißt mich gegen die Wand, dann seh ich besser aus und verwandle mich in die Prinzessin, die ich bin, wenn ich nicht in irgendwelchen Scheunen rumsitze.“ Turin brach in lautes Gelächter aus, denn natürlich kannte er die Geschichte mit der Riesenkönigin, die den Ochsenfrosch gegen die Wand warf und einen Prinzen zurück erhielt. Aber sie sah in seinen Augen so liebreizend aus, dass er es nie wagen würde, sie gegen die Wand zu schmeißen. Er war verliebt, bis über beide Riesenohren. Und nun schaute Isidira Turin an und auch ihr Herz erwärmte sich für den Riesen. Doch Isidira wurde gefunden und zurück zu ihrem Vater geschafft. Ohne dass es jemand bemerkte, schlich sie sich immer wieder zu Turin in die Schmiede; er besuchte sie an dem kleinen Teich. Eines Tages brachte er ihr ein Geschenk mit. Eine Fiebel, aus dem reinsten Metall der Riesen geschmiedet, auf dass die Fiebel nie zerfiel und ein kostbares Tuch, aus grauem Stoff mit zarten silbernen Fäden. Mit der Magie, die jedem Riesen damals zustand, hatte er es selbst gewebt und damit seine Liebe zu Isidira eingewebt. Doch Isidiras Vater bemerkte diese Liebschaft und schickte ihn als Waffenschmied in den Krieg, denn seine Tochter sollte eines Tages den Drachenprinzen aus Grönland heiraten. Turin indes wurde im Krieg schwer verwundet und wusste, dass sein Ende nah war. Doch vor seinem Tod wollte er seine große Liebe, die Riesenprinzessin Isidira wiedersehen und schleppte sich mit letzter Kraft zurück nach Großstadt, wie die Siedlung um die Königshalle des Riesenkönigs Turambar genannt wurde. Isidira sollte am selben Tag, an dem er im Wald vor Großstadt ankam, nach Grönland aufbrechen und bat ihren Vater um einen letzten Spaziergang im Wald, denn sie hoffte auf ein glückliches Wiedersehen mit Turin, am Ende, kurz bevor sie zu ihrem zukünftigen Ehemann reisen sollte. Doch das Wiedersehen wurde nicht glücklich. Turin lag unter der Buche, unter der sie sich oft getroffen hatten, kurz davor in die Anderswelt zu scheiden. Mit einem Aufschrei, der zwischen den Hügeln des Riesenlandes lange Zeit nachhallte, rannte die Riesenprinzessin zu ihrem Geliebten. „So lange musste ich warten, so lange.“ Turin schwor ihr ewige Liebe und daraufhin schied seine Seele aus den Gestaden der Welt. Isidira selbst grub ihm sein Grab, und so legte sie ihrem Liebsten das Tuch und die Fiebel, die sie einst von ihm erhalten hatte, ihm auf die Brust in sein Grab. Und dort lag ihr Geliebter, mit dem Tuch und der Fiebel auf der Brust, etwa 1200 Jahre lang, bis Siedler in die Gegend kamen und ihre Grubenhäuser errichteten. Ein junges Mädchen fand diese Fiebel; sie allein war von dem Grab erhalten geblieben, da das Metall der Riesen nie rostete oder gar zerfiel. Nun war das Mädchen, das die Fiebel fand, für ihre Schlagfertigkeit und Sprachgewandheit bekannt. Und eine alte Frau sagte damals mit zittrigem Stimmchen: „Ihr Mund ist so groß wie der der Riesin.“ Denn die alte Frau kannte die Geschichte. Man sagte, sie rede mit den Steinen, dem Wasser und den Pflanzen, und die hätten ihr die Geschichte der Riesin erzählt. So behielt das Mädchen die Fiebel, und jeder wusste, dass sie „einen Mund so groß wie der der Riesin“ hatte. Seit diesem Tag wurde die Fiebel immer an das sprachgewandteste und schlagfertigste Mädchen in dem Dorf weitergereicht. So kam die Fiebel zu uns, denn zur Zeit ist Louisa/ bin ich das sprachgewandteste und schlagfertigste Mädchen im Dorf.

Text von Louisa Strahl
Fiebel vom Bäh dem Riesen 😉